Gahlener Sündenbock zeigt Staatsanwaltschaft die Hörner

Im Prozess gegen den Gahlener Abfallmakler H.  zeigt dieser der Staatsanwaltschaft die Hörner

Zahlreiche Versäumnisse der Bochumer Staatsanwaltschaft wurden am Mittwoch aufgelistet

Der Prozess gegen den Gahlener Abfallmakler H. entwickelt sich am Bochumer Landgericht allmählich in eine Richtung, mit der die Staatsanwaltschaft zu Beginn vor eineinhalb Jahren sicherlich nicht gerechnet hat.

Staatsanwaltschaft gerät in Kritik

Während an den ersten 20 bis 25 Verhandlungstagen die Staatsanwaltschaft bemüht war, dem Gahlener nachzuweisen, dass er zu den Hauptschuldigen in der Lieferkette von gefährlichen Ölpellets gehörte, ist die Staatsanwaltschaft in den letzten drei Monaten zusehends selbst in die Kritik geraten.

Nach der Strafanzeige der Schermbecker Grünen und des BUND gegen vier Bochumer Staatsanwälte hat die Verteidigung des Gahleners ebenfalls damit begonnen, erhebliche Vorwürfe gegen die BP, gegen Bezirksregierungen in Münster und Düsseldorf und gegen die Staatsanwaltschaft zu erheben.

Die Summe der Einlassungen der Verteidigung erweckte beim Gericht den mehrfach vom Vorsitzenden Richter Dr. Markus van den Hövel geäußerten Verdacht, es solle ein Angeklagter aus dem Mittelfeld als Schuldiger fokussiert werden, während andere geschont blieben. Den bereits zweimal gemachten Vorschlag der zweiten Strafkammer, das Verfahren einzustellen, lehnte die Staatsanwaltschaft kategorisch ab.

Hätte die Staatsanwaltschaft einer Prozessbeendigung zugestimmt, wäre ihr erspart geblieben, nun selbst auf einer Art „Anklagebank“ zu sitzen.

Genau so erlebten die Prozessbeobachter die letzte Sitzung am Mittwoch in Bochum. Als Ersatz für die vier bisher tätigen Staatsanwälte musste sich die Leitende Oberstaatsanwältin Friese eine Stunde lang mit anhören, was ihre Kollegen offensichtlich alles falsch gemacht haben.

Wem das gelegentliche Schmunzeln einzelner Mitglieder des Richter- und Schöffenkollegiums galt, blieb offen. Am Ende der einstündigen Einlassung legte Richter van den Hövel erneut eine Einstellung des Verfahrens nahe.

Mit dem Hinweis darauf, dass allenfalls eine „Fahrlässigkeit“ des Gahleners und damit ein „Verschulden am unteren Ende“ nachzuweisen sei, verzichtete er diesmal sogar auf die
20 000 Euro Zahlung an eine Umweltorganisation, die er zuletzt noch als Bedingung für eine Verfahrenseinstellung gestellt hatte.

Vorangegangen war eine Anhäufung von Verfahrensfehlern der Staatsanwaltschaft.

Hier ein paar Auszüge aus der Einlassung des Kölner Verteidigers Dr. Johannes Dilling:

* Durch das Gutachten des LANUV-Mitarbeiters Dr. Malorny wusste der STA um die erhebliche Belastung der Pellets mit Schwermetallen. Nichts sei gegen den Lieferanten, die BP-Tochter Ruhr Oel GmbH, bislang unternommen worden.

* Am 30. November 2013 nahmen zwei Staatsanwälte an einer Besprechung bei der Bezirksregierung in Düsseldorf teil. Dort seien die Pellets als gefährlicher Abfall bezeichnet worden. Die STA habe nichts unternommen.

* Die der STA Bochum vorliegenden Pellets-Ordner „BMO 21 bis 23“ , die der Staatsanwalt C. mit dem Stempel „BO-Pellets“ versehen hat, bezeugen ebenfalls „massive Grenzwertüberschreitungen“ bei den Pellets. Nichts sei unternommen worden.

* Die Ruhr Oel GmbH (= ROG) wies auf ihrem Sicherheitsdatenblatt für die Pellets auf diese Gefahren und Grenzwertüberschreitungen nicht hin. Das habe die STA einfach hingenommen.

* Der STA war seit Dezember 2013 bekannt, dass kein sicherer Absatzweg zu EON bestand. Die STA habe nicht nachgehakt.

* Bereits im August 2014 kam die STA zu der Erkenntnis, dass die Ölpellets kein Nebenprodukt waren, sondern Abfall. Trotzdem sei nichts gegen die ROG unternommen worden, die die Ölpellets nicht als Abfall bezeichnet, sondern in einem großen Teilbestand als Nebenprodukt.

Strafrechtliche Immunität

Noch mehrere Unterlassungen – auch in der Bewertung von Handlungen der Bezirksregierung Münster – wies der Verteidiger nach, bevor er zusammenfassend fragte: „Warum also setzt sich die STA Bochum so konsequent, so einseitig für die Ruhr Oel GmbH ein, was dieser bisher erheblichste finanzielle Vorteile, aber auch strafrechtliche Immunität verschafft hat.“

„Der Angeklagte wird es aber nicht hinnehmen“, stellte Dr. Dilling in direkter Ansprache der Oberstaatsanwältin fest, „dass er der Platzhalter und Sündenbock für den eigentlichen Schuldigen, die Ruhr Oel GmbH, sein soll.“ H.Sch.

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Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.