Ein Haus für Flüchtlinge und Obdachlose – und tägliche Konflikte im Haus am Alten Postweg in Schermbeck
Am Alten Postweg in Schermbeck teilen sich 70 geflüchtete und zehn obdachlose Menschen ein gemeinsames Dach. Fast alle der Obdachlosen sind schwer krank – körperlich und psychisch. Drogensucht, Alkoholismus und andere psychische Erkrankungen prägen ihren Alltag. Ein Großteil der obdachlosen Bewohner ist bereits aus anderen Einrichtungen, wie dem Lühlerheim, rausgeflogen. Genau aus diesen Gründen: Sie halten sich an keine Regeln und sorgen fast täglich für Einsätze von Polizei, RTW, Ordnungsamt und Feuerwehr.
Und dann heißt es immer wieder fälschlicherweise: „Die Flüchtlinge sind das Problem.“ Doch in Wirklichkeit sind es die zehn obdachlosen Deutschen, die die meisten Einsätze verursachen.

Obdachlose – Eine Herausforderung für die Gemeinde
„Obdachlosigkeit in Schermbeck ist ein Problem“, sagt Bürgermeister Mike Rexforth. „Eine Riesenherausforderung.“ Zwar sei die Zahl der Betroffenen mit zehn Personen nicht besonders hoch, gemessen an der Gesamtbevölkerung Schermbecks, doch die Auswirkungen seien enorm.
Die Schermbecker Obdachlosen leben alle in der Notunterkunft an der Alten Poststraße. „Und die fordern uns extrem, also fast jede Woche mehrfach“, so Rexforth. Die Betroffenen hatten bereits in der Vergangenheit Hilfe erhalten, doch diese waren entweder nicht erfolgreich oder gar abgelehnt worden. „Wir haben ja kraft Gesetzes die Verpflichtung, diesen Menschen ein Obdach zu bieten.“
Das bedeutet nicht nur eine Schlafstelle, sondern auch eine gewisse Betreuung. Doch genau diese zehn Personen stellen die Gemeinde immer wieder vor massive Probleme. „Im Verhältnis zu den knapp 650 Flüchtlingen in Schermbeck, die laut Polizeiberichten kaum für Vorkommnisse sorgen, sind es meist die deutschen Obdachlosen, die Polizei- oder Rettungseinsätze verursachen.“

Tägliche Einsätze und Hilflosigkeit
Kein einziger Bereitschaftsdienst vergeht, ohne dass Mitarbeiter des Ordnungsamts, oft begleitet von Polizei und medizinischem Personal, ausrücken müssten. „Diese Menschen sind in einem Zustand, einer psychischen Ausnahmesituation, wo uns auch manchmal die Fantasie fehlt, wie wir ihnen noch weiterhelfen können“, gibt Rexforth zu.
Die Gemeinde versucht, gemeinsam mit dem psychosozialen Dienst, dem Kreis Wesel und den Amtsgerichten, geeignete Unterbringungs- und Hilfsformen zu finden. „Nicht immer freiwillig, das muss man auch sagen.“ Teilweise gehen diese Maßnahmen mit Zwang einher. Doch wenn jemand überhaupt Hilfe verweigere und gerichtlich als selbstbestimmt eingestuft werde, „dann sind uns die Hände gebunden. Das führt aber massiv zu Polizeieinsätzen und zu Einsätzen unserer Ordnungskräfte“, betont Rexforth.
Gefahr für die Mitarbeiter des Ordnungsamts
Ellen Weber, Fachbereichsleitung für den Fachbereich III (Ordnungsamt, Sozialamt, Schulverwaltungsamt, Bürgerbüro und Standesamt) bestätigt die schwierige Lage. Ob sie allein in die Unterkunft gehe? „Mittlerweile gehen die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ordnungsamt nur noch mit Polizeischutz rein – einfach im Sinne des Eigenschutzes.“ Die Betreuung der Bewohner übernimmt vor allem die Caritas. „Im Flüchtlingsbereich haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, weil die Menschen die Hilfe annehmen und sich helfen lassen wollen“, ergänzt Weber. Anders sei das bei den deutschen Obdachlosen. „Die verweigern diese Hilfe oft. Und da stoßen auch die Sozialarbeiter an ihre Grenzen.“
Zusammenleben mit Geflüchteten – eine Herausforderung
Wie funktioniert das Zusammenleben der obdachlosen Deutschen mit den Geflüchteten in der Unterkunft? „Sie arrangieren sich. Es bleibt ihnen ja auch nichts anderes übrig, weil wir keine alternative Unterkunft nur für Obdachlose haben. Aber es ist definitiv eine Herausforderung für unsere Flüchtlinge“, so Weber.

Unberechenbarkeit und viel Vandalismus
Das größte Problem sei die Unberechenbarkeit. „Bei den Obdachlosen weiß man nie, was in einer halben Stunde passiert. Es gibt viel Vandalismus. Regelmäßig stehen Polizei und Rettungsdienst vor der Unterkunft.“
Und immer wieder würden diese Vorkommnisse fälschlicherweise den Geflüchteten angelastet. „Ja, das ist so. In der Realität entspricht das aber nicht der Wahrheit. Und das ist schade, weil die Flüchtlinge dann das Gefühl bekommen, zu den Abgestempelten zu gehören.“
Natürlich komme es auch unter den geflüchteten Mal zu Streit, wo dann die Polizei eingeschaltet werde, was aber ehe die Ausnahme sei. Doch für die obdachlosen Bewohner fehle es an langfristigen Lösungen. „Da fehlt uns allen die Fantasie, wie wir mit diesen Menschen umgehen sollen“, gibt Weber zu. Gemeinsam mit der Caritas sucht die Gemeinde nach alternativen Konzepten.
Ein Zimmer statt einer Notunterkunft
Im Gegensatz zu vielen anderen Städten müssen die Obdachlosen in Schermbeck nicht in einer klassischen Notschlafstelle unterkommen. „Sie haben ein eigenes Zimmer, das sie sich selbst einrichten können“, erklärt Ellen Weber. Das sei, so Weber, eher wie eine kleine Wohnung und nicht wie eine Notunterkunft.
Normalerweise müssten morgens Obdachlose in anderen Einrichtungen um 8 Uhr das Gebäude verlassen und dürften erst abends um 22 Uhr wieder hinein – vorausgesetzt, sie hätten sich am Vortag ordentlich benommen und seien nicht allzu stark unter Drogen- oder Alkoholeinfluss. „Bei uns können sie den ganzen Tag dort bleiben“, so Weber.
Kein dauerhafter Wohnraum für Obdachlose in Schermbeck
Allerdings sei die Unterkunft kein dauerhafter Wohnraum. Es sei nun mal ein Obdach, betont Weber, und die Verpflichtung des Ordnungsamts bestehe lediglich darin, dieses bereitzustellen. „Da werden wir uns sicherlich noch einmal Gedanken machen müssen. Die Situation ist so nicht hinnehmbar. Das muss auf jeden Fall verändert werden.“
Trotz der großen Herausforderungen sei die Gemeinde jedoch nicht auf sich allein gestellt. Weber betont, dass sie eine sehr gute Unterstützung von der Polizei, Caritas sowie vom Lühlerheim erhalten. „Dafür sind wir wirklich dankbar, denn ohne diese Hilfe wäre die Situation kaum zu bewältigen.“