„Dann müssten wir das Angebot einstellen“

Ohne die Mittel vom Kreis kann die AWO die  Schwangerschaftskonfliktberatung nicht aufrechterhalten

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist oft nur Theorie. In der Praxis müssen sich Frauen häufig entscheiden: Kinder oder Beruf. Vorsicht, es geht nicht um das Klischeevon der klassischen Karrierefrau. Es geht um Frauen, die vielleicht bereits ein Kindhaben oder auch zwei, die allein erziehend sind und sich nur mühsam mit einem oder
mehreren Jobs über Wasser halten. Und dann kommt noch ein Kind? Das ist nicht zu schaffen. Stephanie Walbrunn kennt solche Schicksale. Sie ist Leiterin der AWO-Beratungsstelle für Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikte, Familienplanung, Sexualität und Partnerschaft im Kreis Wesel. Und wenn Frauen eine Schwangerschaftabbrechen wollen, dann ist die Ausbildungs- und berufliche Situation häufig einer der Gründe. 481 Frauen suchten im vergangenen Jahr Rat und Hilfe an einem der vierStandorte der Beratungsstelle, exakt 15,62 Prozent mehr als im Vorjahr. Und 1478Beratungen rund um die Themen Sexualpädagogik, Schwangerschaft und Geburtfanden statt. Die Zahlen sprechen für sich, und doch haben CDU, Grüne und FDP/VWG in der jüngsten Sitzung des Kreissozialausschusses eine Streichliste vorgelegt,die für die Arbeiterwohlfahrt einen herben Einschnitt bedeuten und den Personalkostenzuschuss drastisch reduzieren würde.
Seit 1978 ist die AWO im Kreis Träger der Beratungsstellen, die Arbeit erfolgreich undanerkannt. 80 Prozent der Personalkosten trägt das Land, der Kreis bislang 20Prozent. An den Sachkosten beteiligt sich der Kreis Wesel nicht, die trägt zu einem großen Teil die AWO. Geschäftsführer Bernd Scheid ist fassungslos. „Wird der Personalkostenzuschuss reduziert, müssten wir pro Jahr erheblich mehr Mittel aus
eigener Tasche aufbringen. Mittel, die wir nicht haben. Wir müssten das Angeboteinstellen.“ Mit allen Konsequenzen, auch für die Mitarbeiter. Dabei sind die Angebote der AWO-Beratungsstellen keine freiwilligen Leistungen. Sondern der gesetzliche Auftrag laut Schwangerschaftskonfliktgesetz, wie zum
Beispiel das Ausstellen der Beratungsbescheinigung im Schwangerschaftskonflikt. Oder: Die AWO-Beratungsstellen zahlen Gelder aus der Bundesstiftung „Mutter undKind – Schutz des ungeborenen Lebens“ an schwangere Frauen aus und dieseAuszahlungen sind räumlich gebunden. „Um sicherzustellen, dass nicht jemandStiftungsmittel in Duisburg bekommt und dann noch einmal in einer anderen Region“,
erklärt Stephanie Walbrunn.
Wo sollten die Schwangeren aus dem Kreis Wesel ohne die Beratungsstellen dieStiftungsgelder bekommen? Wer füllt die Beratungslücken, falls die AWO aufgebenmüsste? Fragen, auf die Stephanie Walbrunn keine Antwort hat. Auch andere Träger sind betroffen, und nicht in jedem Fall können Hilfesuchende einfach in einen anderenKreis oder eine andere Stadt ausweichen. Wenn sie aufzählt, welche Leistungen ihr zwölfköpfiges Team erbringt, wird sie so schnell nicht fertig. Beratung und Informationim Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, Beratung vor und nach der Geburt oder bei ungewollter Kinderlosigkeit, bei Fragen zu Sexualität und Partnerschaft, ein breites sexualpädagogisches Angebot, das vor allem von Schulen gerne angenommen wird – eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die AWO ist gut vernetzt im System der Frühen Hilfen und nah an dem, was in der Gesellschaft passiert. Alle sprechen über Inklusion, kein Wunder, dass in den Beratungsstellen auch das Thema Sexualität undMenschen mit Behinderung aufgegriffen wird.
1959 Beratungen gab es im vergangenen Jahr, dazu 304 Gruppenveranstaltungen, das Gros davon in Schulen, bei denen 4258 Menschen erreicht wurden.  Bernd Scheid appelliert an die Initiatoren der verhängnisvollen Streichliste: „Ohne dieBereitschaft des Kreises, ein solches Angebot seit 35 Jahren mitzufinanzieren, hättenwir doch nie diese Beratungsstellen aufgebaut. Wir reklamieren auchVertrauensschutz.“

 

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.