Noch schlimmer als in einer Bananenrepublik

BürgerForum kritisiert chaotisches Handeln in der Kreisverwaltung

Soll einer sagen, dass der Kreis Wesel nicht richtig kontrollieren kann! Nachdem die zuständigen Mitarbeiter jahrelang nicht bemerkten, dass Tausende Lkw-Ladungen mit Ölpellets oder giftigen anderen Stoffen verbotenerweise in einer Abgrabung der Firma Nottenkämper im Gahlener Heisterkamp landeten, wurden am Dienstagnachmittag gleich zwei Polizeibeamte beauftragt, den angemeldeten Protest von fünf Mitgliedern des Gahlener BürgerForums vor dem Portal des Kreishauses zu überwachen.

Die Vertreter des Gahlener BürgerForums freuten sich, dass sich wenigstens einige Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen mit ihnen über den Ölpellets-Skandal im Gahlener Heisterkamp unterhielten. Foto: Helmut Scheffler

Eine Sitzung voller Überraschungen

Der Einsatz der Polizisten blieb für Dr. Stefan Steinkühler, Matthias Rittmann, Egon Stuhldreier, Hamlet Schöpgens und Wilhelm Hemmert-Pottmann nicht die einzige Überraschung. Als Mitglieder des BürgerForums Gahlen mussten sie feststellen, dass sich nur eine Handvoll Mitglieder des Umwelt- und Planungsausschusses für ihr Plakat mit der Aufschrift „Ölpellets in Gahlen? Nein danke!! Wir lassen uns nicht vergiften!“ interessierte und ein Gespräch mit den Protestlern suchte.

Die Überraschungen nahmen auch nach dem Betreten des Sitzungsraumes kein Ende. Erst nach längeren Beratungen zwischen Politikern und Mitarbeitern der Kreises Wesel durfte sich nach einem entsprechenden Antrag des Kreistagsmitglieds Helga Franzkowiak (Bündnis 90/Die Grünen) das BürgerForum zu Wort melden.

Als dessen Sprecher Dr. Stefan Steinkühler statt der erlaubten 10 Minuten 17 Minuten benötigte, um eine Vielzahl von Fehlern der Kreisverwaltung vorzustellen, ermahnte der Ausschussvorsitzende Udo Bovenkerk den Redner, seine Ausführungen zu beenden. Nach Steinkühlers Ausführungen gab es keinerlei Nachfragen, Kommentare oder Diskussionen.

Steinkühler hatte dem Ausschuss als dem eigentlichen Kontrollorgan der Kreisverwaltung schon eine Kurzfassung angekündigt: „Wir konzentrieren uns aufs Wesentliche in dieser Fülle von Nachlässigkeiten und teilweise auch Kuriositäten.“

Hier folgen einige seiner Feststellungen:

Am 29. November 2017 hatte Steinkühler im selben Ausschuss gefragt, ob die Beprobung der LKWs nach der so genannten LAGA PN 98 erfolgt sei. Das wurde vom zuständigen Sachbearbeiter Michael Fastring bestätigt. Im selben Monat hatte der Kreis-Mitarbeiter Jürgen Brandstaeter nach einer Rückfrage seitens der Gemeinde Schermbeck die Darstellungen Fastrings mehrfach korrigiert. Am 5. September 2019 gab der Kreis Wesel zu, „dass irgendwann mal (Zeitpunkt nicht bekannt) die Sammlung von Rückstellproben alle 60 Tage nicht mehr praktiziert wurde.“

Widersprüchlichen Verhalten

Steinkühler ergänzte eine Serie von Aussagen der Kreisverwaltung und fasste dann zusammen: „Bei diesem widersprüchlichen Verhalten und nichts sagenden Antworten, auf die man zum Teil Monate warten muss, wundert sich der Landrat, dass wir kein Vertrauen mehr in die Kreisverwaltung haben und Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerden einlegen?“

Dem Kreis Wesel hielt Steinkühler vor, dass er zu sehr auf die Eigenkontrolle der Firma Nottenkämper vertraut habe. Spätestens 2001, als 13 000 Tonnen ölverunreinigter Böden im Heisterkamp abgelagert worden seien, hätte der Kreis die Stellschrauben andrehen müssen.

Unsägliche Diskussionen

In der Rückschau monierte Steinkühler „unsägliche Diskussionen, als es um die Herausgabe der beiden Gutachten [die Red.: AHU, Asmus und Prabucki] ging.“ Die Herausgabe wurde verweigert mit dem Hinweis auf eine anstehende Gerichtsverhandlung. Erst als das Landgericht Bochum dem widersprach, gab der Kreis die Gutachten frei.

Das BürgerForum kritisierte, dass Vertreter des Kreises Termine des Strafprozesses nie besucht hätten. „Andere Behörden“, bedauerte Steinkühler, „haben aber Zuhörer nach Bochum geschickt – nur nicht die unmittelbare Aufsichtsbehörde.“

Ein weiterer Kritikpunkt lautete am Dienstag: „An dieser Stelle auch nur noch einmal der Hinweis auf den ominösen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der zwischen dem Kreis Wesel und Nottenkämper geschlossen wurde und die sagenhafte Sicherheitsleistung durch Nottenkämper in Höhe von zirka 160 000 Euro für die so genannten Ewigkeitskosten festschreibt.“

Dem Kreis Wesel wirft das BürgerForum außerdem vor, Beurteilungen der Gutachten seitens des LANUV verschwiegen zu haben. „Spätestens bei seiner Informationsveranstaltung in Gahlen im September 2018 hätte der Landrat diese Stellungnahmen des LANUV erwähnen können bzw. sogar müssen.

Nicht einen Hauch von Selbstkritik

Nach der Schilderung weiterer Unterlassungen seitens der Kreisverwaltung fasste Steinkühler zusammen: „Der Landrat und der Kreis haben in diesem gesamten Skandal nicht einen Hauch von Selbstkritik geäußert – im Gegenteil, das gesamte Verwaltungshandeln war aus seiner Sicht nie zu beanstanden. Wie kommt so etwas beim Bürger an, wo die umfangreichen Fakten erdrückend sind und das Gegenteil aufzeigen? Oder ist dies juristischer Selbstschutz, um bei grob fahrlässigem Verhalten nicht selber in den Haftungsfokus zu geraten?“

Steinkühler beendete seinen Vortrag mit der Feststellung: „Vielfach haben wir bei unserer Arbeit immer die Reaktion gehört: ´Das ist ja wie in einer Bananenrepublik.` Ganz ehrlich, das Behördenversagen hier mit einer Bananenrepublik gleichzusetzen, wäre eine Beleidigung für jede Bananenrepublik.“ Helmut Scheffler

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.