Klaus Honermann: Predigt zum Karfreitag

Pastor Klaus Honermann predigte am heutigen Karfreitag:

ICH BIN ERLÖST, WEIL DU GEKREUZIGT BIST
In der Mitte der Karfreitagsliturgie steht die Kreuzverehrung. Das sagt sich so: Kreuzverehrung. Aber geht das denn? Das KREUZ verehren?

In der Borghorster Kirche wird ein vergoldetes Kreuz aus dem 11. Jahrhundert verehrt. Dort ist die Freude groß, weil das Kreuz nach einem Raub vor 3 Jahren wieder in die Kirche zurückkommt. Besonderer Anlass der Verehrung ist ein Splitter, welcher der Überlieferung nach aus dem Kreuz Jesu stammt.

Klaus Honermann

Kreuzverehrung. Geht das heute noch, das KREUZ verehren?

Ich meine, es geht nicht darum, ob der Splitter historisch, materiell tatsächlich aus dem Kreuz Jesu stammt. Darum kann es und konnte es nie gehen. Aber worum geht es dann am Karfreitag, bei der Erinnerung an das Leiden und den Tod Jesu?

Das scheinen in unserer Gesellschaft immer weniger Menschen zu ahnen und zu suchen.

Fremdes Ritual, fremd gewordener Glaube.
Vielleicht macht dies einen Teil des Kreuzes heute aus: dass nicht nur der Glaube, eine bewusste religiöse Bindung, manchen quasi-religiösen Ritualen Platz gemacht hat, sondern dass die Beziehung zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten, im mehr im Dunkeln liegt. Und das ist immerhin das zentrale Geheimnis unseres Glaubens.

In einer Zeitung stand vor kurzem, dass Galaxien, also Sternenwelten, heute zunehmend von sog. dunkler Materie bestimmt werden. So etwas wie „Dunkle Materie“ – ob es die auch in der Geschichte unserer Menschheit gibt? Dass Gewalt und Hass immer mehr zunehmen?

Das Kreuz heute besteht offenbar aus ganz vielen Splittern und Bruchstücken. Unzählige Leiden, größere und kleine, können wir sehen Tag für Tag: bei Mensch in unserer unmittelbaren Umgebung, in der Welt und in unseren eigenen Schmerzen. So wie die Splitter, die in zahlreichen Kreuzen auf der ganzen Welt als Teil des Kreuzes Jesu verehrt werden, ursprünglich mal zu einem einzigen Kreuzesbalken gehört haben, so bilden all diese Wunden und Verletzungen, Enttäuschungen und Beleidigungen, alle Erfahrungen von Ohnmacht und Verzweiflung, innerer Dunkelheit und bohrendem Fragen, alle Erniedrigungen und Misshandlungen das eine Kreuzesleiden Jesu heute.
Die koptischen Christen, auf die vor kurzem wieder ein Attentat verübt wurde, spüren die Verbundenheit mit demGekreuzigten.
Im geschichtlichen Sterben des Jesus von Nazareth vor rund 2000 Jahren ist alle Leidensgeschichte hinein genommen, aber nicht beendet.
In seinem Schrei am Kreuz hat Jesus seine Gottverlassenheit in den dunklen Himmel geschrien. Der himmlische Vater hat ihn – um uns Menschen ganz nahe zu kommen – an die Gottesferne der Welt ausgeliefert. In dieser Gottesferne hat Jesus sich – als er rief: „Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist, mein Leben.“ – an den Vater ausgeliefert, den er nicht mehr gespürt hat. Jesus war so von Himmel und Erde gleichermaßen getrennt – und hat so alles Getrenntsein in sich hinein genommen. In aller Zerrissenheit der Welt ist Jesus am Kreuz die Verbundenheit. Wie eine Brücke, die Abgründe überspannt.

(Vgl. dazu K. Hemmerle, Gerufen und verschenkt, S. 19f)

Martin Luther hat gesagt:
„Im gekreuzigten Christus liegt die wahre Theologie und Gotteserkenntnis.“

Diese Erkenntnis der unendlichen Nähe des unendlich fernen Gottes kann uns in dieser Stunde neu aufgehen. Es ist ein Geheimnis, das nicht einfach durch Tradition sich von selbst vermittelt. Entweder es gibt eine persönliche Christusbeziehung – oder der Glaube verdunstet gewissermaßen.

Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft geht der Sinn für das Göttliche verloren. Irgendwie stehen wir ohnmächtig davor, wie Maria ohnmächtig unter dem Kreuz stand.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, betete Jesus am Kreuz. An diese vergebende Liebe musste ich denken, als ich Folgendes hörte: Ein christlicher Flüchtling, der ständig von einem Andersgläubigen angefeindet wurde, sagte diesem: „Ich liebe dich.“ Der war davon so überrascht und „entwaffnet“, dass der Graben überbrückt war und er über seinen Glauben sprach.

Das Bewusstsein, dass Jesus am Kreuz für alle und für mich persönlich sein Leben gegeben hat, ist der Grund unserer Kreuzesverehrung.
Nicht DAS Kreuz verehren wir, sondern DEN Gekreuzigten, Jesus Christus.
Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Hoffnung in der Dunkelheit der Welt IHM verdanken, der da hinein gegangen ist, damit wir ans Licht von Ostern kommen.

Amen.
Klaus Honermann

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.