Ehemalige Jüdin Marga Randall erinnert sich an die Reichspogromnacht
Schermbeck In ihrem 1997 erschienenen Buch „Als sei es erst gestern geschehen“ beschrieb die inzwischen verstorbene Jüdin Marga Randall (geb. Silbermann) ihre Erinnerungen an die Vorgänge: „Es war noch nicht ganz dunkel am Abend des 9. November, als ich meinen Großeltern ihren Gutenachtkuß gab und meiner Tante Paula die Wendeltreppe nach oben zu meinem kleinen Raum folgte. Sie steckte mich in mein Federbett, und ich schlief bald tief und fest. Um 22 Uhr wurde ich plötzlich von Lärm geweckt, der mich so ängstigte, daß meine Zähne klapperten. Ich lief zum Fenster und sah braununiformierte Jungen und Männer, die Backsteine in der einen und Fackeln in der anderen Hand trugen. Sie sangen hässliche antijüdische Lieder. Ich schaffte es kaum zu meiner Familie, die zusammengekauert im kleinen, dunklen Wohnzimmer meiner Großmutter in der Mitte des Hauses saß, dem Raum ohne Fenster. Wir weinten und schrien, wussten nicht, ob wir die Nacht überleben würden.
Dann wurden wir gezwungen, das Haus zu verlassen. Die Nazis schrien, daß sie das Haus bis auf den Grund und Boden niederbrennen würden. Die Leute des Dorfes schauten zu, als wir verängstigt zum einzigen Unterschlupf rannten, den wir finden konnten, das katholische Krankenhaus am Rande der Stadt [die Red.: heute Marienheim]. Die Nonnen gaben uns Unterschlupf, bis die Nazis uns auch dort fanden und uns abermals zwangen, unsere Unterkunft zu verlassen. Zusammen mit vier anderen jüdischen Familien versteckten wir uns bis zur Dämmerung in den Wäldern.
Im Morgengrauen näherten wir uns erschöpft und geschockt unserem einstmals wunderschönen Haus. Die meisten unserer Möbel und Besitztümer lagen in Stücke zerhackt auf der Straße. Nicht einmal ein Stuhl war heil geblieben. Opas schöner gelber Kanarienvogel war zu Tode getrampelt. …. Wir wussten, dass das der Anfang vom Ende war. … In aller Stille machten wir unsere Pläne. Wir würden nach Berlin gehen, wo ich Tante, Onkel und Cousinen hatte. Opa gab dem Nachbarjungen sein Taschenmesser. Ich warf mein Nähkörbchen einer Freundin zu, die sich aus dem Fenster im zweiten Stock lehnte und fragte, wohin wir gingen. Noch einmal blickte ich zurück auf unser altes Zuhause, als wir Schermbeck im Januar 1939 verließen. Wir wussten, was wir zurückließen, aber nicht, was noch vor uns lag.“
Viele Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Schermbeck haben den Aufenthalt in Konzentrationslagern nicht überlebt. Marga Randall und ihrer Mutter gelang es kurz vor dem Inkrafttreten des Auswanderungsverbotes vom 23. Oktober 1941, nach Amerika auszuwandern. In Pittsburgh lernte sie 1981 Pfarrer Wolfgang Bornebusch kennen. Am 20 Juli 1986 enthüllte sie auf dem jüdischen Friedhof am Bösenberg einen von der jüdischen Familie Adelsheimer gestifteten Gedenkstein. H.Sch.