Hünxer Arzt ermuntert Bürgermeister Buschmann zu mehr Aktivität

Offener Brief an Bürgermeister Buschmann

Sehr geehrter Herr Buschmann, sehr geehrte Damen und Herren,

ich hatte Sie am 29.06.2017 (z. Hd. Herrn Buschmann) und 17.11.2017  (mit einem offenen Leserbrief an Herrn Buschmann und die Hünxer Fraktionsvorsitzenden) gebeten, den Hünxer Bürgern Ihre geplanten Aktivitäten zum Ölpellet Skandal in Gahlen zu benennen.
Leider gab es bis auf wenige kurze Einzelantworten vor allem den Verweis auf eine „nicht vorliegende Zuständigkeit der Gemeinde Hünxe“ und dass der „Kreis Wesel schon alles Erforderliche unternehmen werde“.

Wie u. a. der Presse zu entnehmen ist, gibt es jedoch zahlreiche Hinweise, dass der zuständige Kreis Wesel (vorsichtig formuliert) eher zurückhaltend agiert.
Die 30.000 Tonnen Ölpellets und ca. 35.000 Tonnen Kronocarb, vermischt mit anderen Stoffen, insbesondere mit Flugaschen und RC-Sanden befinden sich weiterhin in der nur ca. 6 km Luftlinie vom Hünxer Ortskern entfernten Tongrube, die für die Entsorgung dieser Abfälle überhaupt keine Zulassung und Eignung hat.
Es drohen unkalkulierbare Risiken für die Umwelt und damit die Gesundheit der Hünxer Bürger.

Seit meiner letzten Mail haben sich zahlreiche Neuerungen vor allem auf der Informationsveranstaltung des Gahlener Bürgerforums am 30.11.17 ergeben:

Frage der Dichtigkeit der Tongrube:
bisher wurde von verantwortlicher Seite unter Bezug auf ein (bisher leider nicht öffentlich einsehbares) Gutachten behauptet, „dass die Ölpellets in der Grube verbleiben dürften, da eine ausreichende Abdichtung vorläge“.
Das scheint nach Aussage mehrere Fachleute  absolut nicht der Fall zu sein.
Es gibt nachweislich defekte Messbrunnen. Diese könnten wohl auch zur Durchlässigkeit für die Schadstoffe durch die Tonschichten führen.
Es gab wohl Probebohrungen in Gahlen auf der Suche nach Steinkohle, welche zu Undichtigkeiten führen könnten.
Es ist unklar, ob die Lage der Niederrheinischen Bucht in einem Erdbebengebiet nicht doch möglicherweise  problematisch werden könnte.
Schon in der Deponieklasse III (für Deponien für Sonderabfälle mit besonderem Überwachungsbedarf) müssen die geologischen Barrieren nach allen Seiten mindestens 5 Meter dick sein und es ist ein Dichtungskontrollsystem vorgeschrieben.
Zumindest die Referenten Dr. Enßlin und Dipl. Ing. Schalles haben in Ihrem Vortrag festgehalten, dass „von einer Abdichtung der Tongrube nach der Seite überhaupt nicht gesprochen werden könnte“. „Am Krudenburger Sprung komme Giftwasser aus der Tongrube ins Grund- und Trinkwasser“. Außerdem „gebe es kein ewig dichtes Einkapselungsmaterial“.
Das klingt alles nicht besonders beruhigend, zumal die Öffentlichkeit bis heute keine Einsicht in die sich scheinbar teils komplett widersprechenden Fachgutachten bekommen hat.

Auswirkungen auf das Trinkwasser Schutzgebiet:
auch  die auf der Bürgerveranstaltung aufgetretenen  Ingenieure des Wasserwerkes RWW  konnten am Schluss viele Fragen zur Sicherheit des Trinkwassers vor allem auf lange Sicht nicht beantworten.

Auch sie baten um Einsicht in die Gutachten und „wollten sich weiter beraten“.
Sie haben mir zugestimmt, dass die Trinkwasseruntersuchungen nach Trinkwasser Verordnung nur etwa 36 Substanzen prüfen. Allein die bei den Ölpellets zu findenden PAKs (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) beinhalten aber mehrere Hundert Substanzen, welche also (neben etwaigen Dioxinen und Furanen) überhaupt nicht untersucht werden.
Die Trinkwasser Verordnung gibt für Schadstoffanalysen aktuell als verpflichtend also  nur etwa 36 sogenannte Indikatorparameter vor.
Die bei den Ölpellets besonders relevanten PAKs werden aber nur als Summenwert bestimmt.
Viele weitere relevante „CMR Stoffe“ (Erläuterung s.u.) sind überhaupt nicht als Routineparameter aufgelistet.
„In Ordnung nach Trinkwasser VO“ heißt also nicht „ohne Schadstoffe“. Das Problem kennt man auch für den Bereich der Trinkwassergewinnung aus Uferfiltraten, wo letztendlich mehrere hundert Substanzen (wie Medikamente, die teils Hormonähnlich wirken / Kontrastmittel / Mikro- und Nanoplastik mit angelagerten Schadstoffen wie PAKs / etc.) im „sauberen Trinkwasser“ auftauchen können.

Grundwasser-Messstellen:
wenn doch angeblich sowohl auf der offiziell zugelassenen AGR Sondermülldeponie als auch in der Nottenkämper Tongrube „das Grundwasser so lückenlos und ohne Auffälligkeiten kontrolliert wurde“, wieso müssen dann (wohl auf Anweisung der Bezirksregierung) neue Grundwassermess- und Überwachungssysteme erstellt werden?
Es scheint also schon im aktuellen Betrieb durchaus Überwachungsmängel gegeben zu haben.
Hat die Gemeinde Hünxe eigentlich Zugriff zumindest auf diese Messergebnisse und wenn ja, mit welcher fachlichen Bewertung?
Wer bezahlt eigentlich die teils ziemlich teuren Schadstoff Messungen, welche ja auch nach Meinung der Behörden „für immer“ durchgeführt werden müssen („Ewigkeitskosten“), wenn die Firma Nottenkämper einmal nicht mehr existieren sollte?
Wer bezahlt die etwaigen Folgekosten, wenn bei zukünftigen Messungen auf einmal festgestellt wird, dass doch aufwändige Sanierungsarbeiten erforderlich sein sollten, wenn die Firma Nottenkämper nicht mehr existieren sollte?

Toxikologie:
ich habe am 30.11.17 aus fachärztlicher Sicht erläutert, dass es bezüglich der etwaigen Giftigkeit der in den Ölpellets und im Kronocarb vorhandenen Substanzen ebenfalls zahlreiche offene Fragen gibt.
Weit über 40.000 Substanzen (zu denen auch zahlreiche Bestandteile der in der Tongrube entsorgten Gemische gehören) sind toxikologisch überhaupt nicht untersucht und damit hinsichtlich der Gefährlichkeit nicht  bewertet (Fachbegriffe: Einstufung / Kennzeichnung nach dem CLP / GHS System / REACH).
Eine Substanz „ohne Gefahrenkennzeichnung und ohne Grenzwerte“ ist also nicht immer  „ungefährlich“.
Für besonders empfindliche Personengruppen (wie z.B. Kranke / Schwangere / Kinder / ältere Personen) gibt es sehr häufig keine gesundheitsbasierten Grenzwerte.
Es ist völlig unklar, wie die Umwelt und damit mittelbar die Gesundheit der Bürger auf die Belastung mehrerer Schadstoffe in Form dieser Gemische reagiert. Von diesen gibt es in der Tongrube wie dargestellt mehrere Hundert Substanzen.
Zuletzt gibt es bei einigen der diskutierten Schadstoffe sogenannte cancerogene Wirkungen, es wird also ggf. Krebs ausgelöst.
Weiterhin gibt es sogenannte mutagene (erbgutverändernde) und reproduktionstoxische (fortpflanzungsgefährdende) Wirkungen.
Für diese zusammengefasst CMR-Stoffe   genannten Schadstoffe gibt es nur eine ungefährliche Konzentration in Wasser, Luft und Boden und diese ist „0“. Also ist bei jeder noch so kleinen Schadstoffmenge von einer potentiellen Umwelt- und Gesundheitsgefährdung auszugehen.
Zusammengefasst gibt es also zahlreiche, teils extrem beunruhigende offene Punkte, welche eine schnelle und umfassende Aufklärung erfordern, um mögliche Gefährdungen für die Hünxer Umwelt und damit die Hünxer  Bürger zu klären und ggf. abzustellen.
Von daher ist die Kritik der SPD Hünxe bezüglich der Streichung der Stabstelle Umweltkriminalität aus meiner Sicht völlig berechtigt.
Allerdings bin ich offen gesprochen doch etwas erstaunt über die bisher scheinbar fehlenden weiteren (zumindest öffentlichen) Aufklärungsaktivitäten seitens des Bürgermeisters und Hünxer Rates.
In Schermbeck ist man durch die umfangreichen Tätigkeiten des Gahlener Bürgerforums deutlich aktiver und das hat erfolgreich dazu geführt, dass weitere Klärungen erfolgen.
Bei allem Verständnis für die Wichtigkeit einer Firma hinsichtlich etwaiger Arbeitsplätze sollten jedoch meines Erachtens potentiell extrem negative Auswirkungen der Vorkommnisse auf dem Firmengelände auf die Umwelt und damit Gesundheit der Hünxer Bürger nicht außer Acht gelassen werden.
Die durchaus ja positiven Aspekte der Aktivitäten der Firma Nottenkämper („Teiche für Ton“ / „Tonstiftung“ / „Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft Hünxe e.V.“/ „Gewerbesteuereinnahmen“) haben Vertreter einiger Parteien in Schermbeck und des Bürgerforums zu der wohl nicht ganz unberechtigten Frage veranlasst, ob damit die potentiellen enormen Umwelt-Auswirkungen tatsächlich aufgewogen werden könnten.

Abschließend möchte ich Ihnen erneut meine Unterstützung als Facharzt für Arbeitsmedizin und Gefahrstoff Experte (z.B. in Form eines Fachvortrages) anbieten.
Weiterhin möchte ich alle Beteiligten bitten, forciert eine Veröffentlichung der Sachverständigengutachten einzufordern, damit man (z.B. im Gemeinderat und im direkten Gedankenaustausch mit dem Kreis Wesel) offen das etwaige Maß der Gefährdungen und daraus abgeleitet ggf. Schutzmaßnahmen diskutieren kann. Auch bei dieser im Fachjargon genannten „Plausibilitätsprüfung nach Gefahrstoffrecht“ stünde ich auf Ihren Wunsch als Fachberater natürlich zur Verfügung.
Weiterhin sollte meines Erachtens diskutiert werden, warum es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu den illegalen Entsorgungen gesundheitlich relevanter Abfälle (laut Presse PAKs / PCB / Schwermetalle/ etc.) kommen konnte. Hier ist scheinbar eine deutlich verstärkte behördliche Kontrolle mit qualifiziertem Personal zur Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen (Schutz-) Auflagen erforderlich.

Lassen Sie uns doch gemeinsam dafür kämpfen, dass der Umweltskandal möglichst ohne dauerhafte  Folgen für die Bevölkerung und Umwelt bleibt und dass ggf. erforderliche Maßnahmen (wie z.B. eine fachgerechte Entsorgung der schadstoffhaltigen Rückstände auf geeignete und zugelassene Deponien) zu Lasten der Verursacher erfolgen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Joern-Helge Bolle / Facharzt für Arbeitsmedizin / Hünxe

 

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.