Gahlener Umwelt-Skandal zieht kreise. Gahlener BürgerForum lud zu einem Informationsabend ins Café Holtkamp ein
„Es war ein langer und aufschlussreicher Abend“, fasste Dr. Stefan Steinkühler als Mitglied des Gahlener Bürgerforums (GBF) nach dreieinhalb Stunden einen Infoabend zusammen, in dessen Verlauf sich vier Fachleute verschiedener Forschungsbereiche ausführlich zum Umwelt-Skandal am Gahlener Mühlenberg der Abfall-Entsorgungsfirma Nottenkämper geäußert hatten.
Keine Antwort von der Bezirksregierung
„Wir wollen Licht auf die Schattenseiten bringen“, kündigte GBF-Mitglied Matthias Rittmann bei der Begrüßung der mehr als 80 Besucher im Café Holtkamp an und ergänzte, „im Dunklen lassen uns weiterhin der Kreis Wesel und die Bezirksregierung.“ Trotz einer Einladung war kein Vertreter erschienen. Die Bezirksregierung hatte nicht einmal geantwortet. Schermbecks Bürgermeister Mike Rexforth hatte per Mail im Vorfeld auf eine andere terminliche Verpflichtung verwiesen, wurde aber von vier der 26 Schermbecker Ratsmitglieder vertreten, die recht kritische Fragen stellten. Die Bestenerin Hella Sinnhuber übernahm die Moderation, wobei die Gesprächsteilnehmer es ihr leicht machten, weil sich die Redebeiträge durch Respekt vor dem Gegenüber auszeichneten.
Kein Bußgeldverfahren
Steinkühler eröffnete die Rednerbeiträge mit einer knappen Darstellung des Strafverfahrens gegen einen Gahlener Bürger vor dem Landgericht Bochum (wir berichteten) und mit einem Bericht über den Umwelt- und Planungsausschuss des Kreises Wesel, der am Mittwoch tagte. „Es wurde bereits beschlossen, gegen die Firma Nottenkämper als juristische Person kein Bußgeldverfahren einzuleiten“, berichtete Steinkühler von einer Mitteilung der Kreisverwaltung und ergänzte, „bereits im September 2016 wurde ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen dem Kreis Wesel und der Firma Nottenkämper abgeschlossen, der die Abwicklung regelt.“ Der Kreis habe versprochen, schriftlich Details dieses Vertrages nachzureichen.
„Wir hätten gerne die Einsicht in drei Gutachten“, mahnte Steinkühler an und verwies auf Gutachten des Ingenieurbüros Asmus und Prabucki Ingenieure in Essen, auf das Gutachten der ahu AG Aachen und auf ein Gutachten der Staatsanwaltschaft Bochum, das von Ulrich Borchardt aus Hennef erstellt wurde.
Defekte Messbrunnen
Kritisch beurteilte Steinkühler den Zustand der bisherigen Messstellen zur Grundwasserüberwachung. Sie seien „teilweise defekt, teilweise falsch gebohrt, teilweise an falschen Orten gebohrt“. Defekte Messbrunnen könnten zur Durchlässigkeit der Schichten führen. Er verwies auf viele Probebohrungen in Gahlen, als man nach Steinkohle suchte. Die Bohrungen hätten alle wasserführenden und -stauenden Schichten durchstoßen und ermöglichten somit ein Eindringen gefährlicher Stoffe in die unteren Grundwasserschichten.
Verwerfungen
Ohne Zwischenfragen trugen mehrere Fachleute ihre Bewertungen des Mühlenbergs vor. Den Reigen eröffnete Thomas Dietz von der RWW mit einem Referat zum Thema „Unser Trinkwasser“. Er begann mit einer Vorstellung der Wassergewinnung in den beiden Brunnengalerien in Holsterhausen und in der Uefter Mark. „Der Ton ist wirklich ein optimales Material, wenn er denn dicht ist“, stellte Dietz fest. Außerdem könne man nicht ausschließen, dass es Verwerfungen gebe.
Trinkwasserversorgung
Zur Ersteinschätzung der Deponie stellte Dietz fest: „Die Deponie liegt im Randbereich des Grundwassereinzugsgebietes der Brunnengalerie Holsterhausen. Die hydrologische Situation bildet grundsätzlich einen wirksamen Schutz des Grundwasserleiters unterhalb des Ratinger Tons. Oberflächenabdichtung, Fassung der Sickerwässer und dauerhafte Überwachung des Grundwasserabstroms sind erforderlich. RWW wird Einsicht in die Gutachten beantragen und bewerten.
Bei offenen Fragen aus der Sicht der öffentlichen Trinkwasserversorgung wird RWW weitere Untersuchungen oder Gegenmaßnahmen fordern. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist keine Gefährdung von Brunnen des Wasserwerks Holsterhausen zu besorgen.“
Erdbebengebiet
Mit der geologischen Entwicklung des niederrheinischen Raumes befasste sich der Physiker und Chemiker Dr. Walther Enßlin, der seit 1982 in zahlreichen Umweltskandalen tätig wurde oder solche aufdeckte. „Der Gartroper Busch liegt nicht in einem aktiven Erdbebengebiet“, zitierte Enßlin aus einem Schreiben des Kreis Weseler Landrats an den Schermbecker Bürgermeister vom 12. Oktober und widerlegte durch Hinweise auf die entsprechende Fachliteratur diese Aussage.
Fehlende Analysen
Durch die Absenkung der Niederrheinischen Bucht seien bis in die jüngste Vergangenheit hinein Erdbeben entstanden. Enßlin bedauerte die nicht erteilte Erlaubnis zur Einsichtnahme der bisher erstellten Gutachten, der Analysenergebnisse der bisherigen Untersuchungen, die fehlenden Analysen der Sickerwässer und der Deponieluft, bevor er Kronocarb, Ölpellets, Flugasache, Aktivkohle, Recyclingsand, Batterien und Bleicherde als bislang bekannte unerlaubte Einträge in die Nottenkämper-Tongrube auflistete. Besondere Gefahren sieht Enßlin für die Mühlenbergluft und für das Mühlenbergwasser.
Die Tonschicht sei kein dauerhafter Schutz, stellte Enßlin fest und verwies auf eine wesentlich dünnere Tonschicht, als das bislang von der Firma Nottenkämper angegeben wurde, und auf die Durchstoßung der Tonschicht durch Baumaßnahmen oder eine stellenweise Erosion. Anhand von Luftbildern zeigte er Auswaschungen und „keine vertrauenserweckenden Verfärbungen.“ Als Behandlung der zur Deponie umgewandelten Abgrabung Mühlenberg stellte Enßlin das Einkapseln, das Ausbaggern und das Sanieren vor.
Umstrittene Grenzwerte
„Ölpellets enthalten krebserzeugende, mutagene und reproduktionstoxische Stoffe“, stellte Dr. Joern-Helge Bolle fest. Der Hünxer ist Facharzt für Arbeitsmedizin. Er verwies auf umstrittene Grenzwerte und auf fehlende Grenzwerte für Substanzgemische wie Ölpellets. Gerade bei Substanzgemischen würden sich die Grenzwerte aber addieren oder sogar potenzieren.
Bolle forderte ein unabhängiges Fachgutachten ein „nach Qualitätskriterien mit Einbeziehung geologischer, wassertechnischer, toxikologischer und medizinischer Fachkompetenz. Ausreichende Boden-, Wasser- und Luftmessungen seien erforderlich. Bolle plädierte für eine arbeitsmedizinische Vorsorge mit Monitoring für die Mitarbeiter sowie eine straf-, haftungs- und versicherungsrechliche Klärung der Verantwortung.
Er verwies auf die Klärung der Notwendigkeit einer „ewigen“ Kontrolle von Luft- und Wasserproben und einer „ewigen“ Organisation und Bezahlung der Schadstoffmessungen. „Wenn die Schadstoffe unter ausreichendem Schutz der exponierten Arbeitnehmer entsorgt werden, dann gibt es für die Mitarbeiter und Umwelt keine gesundheitlichen Gefährdungen“, ist Bolle überzeugt.
Neue Sickerwasserreinigungsanlage
Als letzter Redner stellte Thomas Eckerth, der Geschäftsführer der Firma Nottenkämper, die geologischen Bedingungen der Mühlenberg-Region vor, bevor er das Einbringen der Ablagerungen und die Kontrollen erläuterte.
Im zweiten Teil erfuhren die Zuhörer, wie die versteckten Pellets bei Schürfungen gefunden wurden und wie die Abgrabung abgedichtet wird. Eine neue Sickerwasserreinigungsanlage wird im kommenden Sommer in Betrieb gehen.
Kritik
In der Schlussrunde hatten die Bürger Gelegenheit Fragen zu stellen. Dabei stand die Kritik an der nicht ausreichenden Kontrolle seitens der Firma Nottenkämper und an der zurückhaltenden Informationsweise im Vordergrund. Bedauert wurde auch, dass die Bezirksregierung Münster zu sorglos mit Deklarationen von Abfallstoffen umgegangen sei.
„Die Natur ist wichtig und sie gehört uns allen“, stellte Pfarrer Christian Hilbricht zum Schluss fest und fügte hinzu, „lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass sie uns erhalten bleibt.“ H.Sch.