Urteil: Fahrlässig, aber nicht vorsätzlich gehandelt – Umweltskandal Gahlen

Das Landgericht Bochum verurteilte gestern einen Gahlener Abfallmakler

Wegen fahrlässigen unerlaubten Umgangs mit Abfällen wurde gestern der Gahlener Abfallmakler H. von der zweiten Strafkammer des Landgerichts Bochum zu einer Haftstrafe verurteilt.

Vier Monate wies die Kammer als vollstreckt aus, weil die Strafverfolgungsbehörde zu langsam gearbeitet hatte.

Das Urteil wurde am 37. Verhandlungstag eines Prozesses gefällt, der sich über einen Zeitraum von einem Jahr und drei Monaten erstreckte und deshalb so lange dauerte, weil die Rollen verschiedener Personen und Behörden im Rahmen von vielen Zeugenverhören geklärt werden mussten.

Das Landgericht Bochum verurteilte gestern einen Gahlener Abfallmakler
Vor der zweiten Strafkammer des Landgerichtes Bochum wurde gestern der Gahlener Abfallmakler H. (2.v.r.) wegen fahrlässigen unerlaubten Umgangs mit Abfällen verurteilt. Foto: Helmut Scheffler

„Es ging in diesem Strafprozess nicht gegen die Bezirksregierungen, nicht gegen die BP und andere Verantwortliche, es ging immer nur um H.“ , begründete Richter Markus van den Hövel das Urteil. Es ging darum zu klären, ob H. als Teil der Lieferkette von hochgiftigen Ölpellets zwischen dem Erzeuger BP und der Deponierung in einer Ablagerung der Firma Nottenkämper vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe. Bei dem Urteil habe man sich von zwei Überlegungen leiten lassen. Es sei nicht möglich, H. aus seiner Verantwortung zu entlassen. Andererseits sollte der Angeklagte auch nicht als der Alleinverantwortliche stigmatisiert werden.

Unheilvoller Kreislauf

Der Richter machte deutlich, dass H. ein Teil eines Systems war, welches es ermöglichte, „auf verschlungenem, Weg“ illegal Materialien zur Deponierung zu bringen, welches als Sondermüll nur in einer dafür geeigneten thermischen Entsorgung hatte landen dürfen. Die Schuld des Angeklagten bestehe darin, dass er dazu beigetragen habe, die Ölpellets in einem unheilvollen Kreislauf mit bewegt zu haben.

Der Weg des Abfalls bis hin zu einer Deponierung sei ihm bekannt gewesen, wie eine von ihm selbst entworfene Skizze belegt habe. Die Kammer könne nicht ausschließen, dass H. im Tatzeitraum 2009 bis 2013 die Gefährlichkeit der Ölpellets nicht hinreichend erkannt habe. Deshalb sei eine Verurteilung wegen Vorsatz nicht möglich. Die sichere Ausweisung der Ölpellets als ein gefährliches Gut sei erst nach einem Gutachten des LANUV-Mitarbeiters Ulrich Malorny erfolgt.

Harmloser Abfall

Der Richter beließ es nicht bei der Erläuterung des Strafverhaltens von H. „Er war Handelnder in einer langen Kette“, stellte Richter van den Hövel fest und belegte das mit mehreren Beispielen. Der Erzeuger, die BP, habe die Umschlüsselung eines gefährlichen Abfalls zu einem harmlosen Abfall vorgenommen.

Das alles sei mit Wissen der Kontrollorgane in Düsseldorf und Münster erfolgt, erinnerte der Richter an das Einverständnis der beiden Bezirksregierungen aus dem Jahre 2009, die Ölpellets einer Entsorgung zuzuführen, wobei von der einzig möglichen thermischen Entsorgung nicht gesprochen worden sei. Auch als vier Jahre später Malornys Bewertung vorlag, habe man seitens der Behörden kein Gutachten erstellen lassen. „Alles das“, so der Richter, habe es H. leicht gemacht, die Ölpellets so lange zu mischen, bis man die Kriterien der genehmigten Umbenennung erfüllt habe.

Revison

Der Angeklagte hat das Recht, innerhalb von acht Tagen eine Revision zu beantragen. Deren Begründung müsste innerhalb eins Monats vorgelegt werden. „Im Verteidigungsteam werden wir nun gemeinsam prüfen, welche weiteren Schritte zu begehen sind“, teilte gestern der Verteidiger Kai Fetgenheuer mit.

Als Mitglied des Gahlener BürgerForums hat Stefan Steinkühler die Urteilsverkündung miterlebt. Ihn haben besonders die Ausführungen des Richters zu den Beteiligten der Lieferkette interessiert. „Wir hoffen, dass die Strafverfolgungsbehörden spätestens jetzt tätig werden“, erwartet Steinkühler. „Sämtliche Genehmigungs- und Kontrollbehörden haben weggeschaut, insbesondere die Bezirksregierungen in Münster und Düsseldorf“, stellte Steinkühler fest und fügte hinzu, „weiterhin bleibt es aber mysteriös, wie die Giftstoffe am Kreis Wesel und an der Firma Nottenkämper vorbei in die Tongrube gelangen konnten.

Konsequente Handlungsweise

Beeindruckt zeigte sich Steinkühler von der konsequenten Handlungsweise der Kammer. Bis zuletzt habe der Richter auf das schuldhafte Verhalten von Mitbeteiligten verwiesen. Mehrfach hatte der Richter zum Ausdruck gebracht, dass es der Staatsanwaltschaft mehr darum gehe, den Erzeuger zu schonen und H. zu einer Art Bauernopfer zu machen.

Für die restlichen Beteiligten der langen Lieferkette bedeutet das jetzige Urteil, dass keiner von ihnen mehr vorgeben kann, ein Opfer durch das Handeln anderer geworden zu sein, weil, wie der Richter deutlich machte, der jeweilige Schuldanteil der Beteiligten ohne eine Bewertung Mitschuldiger erfolgen muss. H.Scheffler

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.