Uralte Predigtsammlung tauchte wieder auf

Nachfahrin der Gahlener Pfarrersfamilie Richter besuchte das Lippedorf

Gahlen Die bekannte Empfehlung, getrost einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, hat jetzt zu einer wesentlichen Bereicherung der Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Gahlen geführt.

Genau dieser Empfehlung ist Werner Köhler gefolgt. Der Geschäftsführer der Historischen Vereinigung Wesel stieß im Zusammenhang mit Forschungen zu den Schill`schen Offizieren auf Informationen, die eine Familie Richter betrafen, deren Nachfahren in Gahlen jahrzehntelang das Pfarramt innehatten.

Bei seiner weiteren Recherche nahm Köhler auch Kontakt mit Almuth Höhn (-Kraemer) auf. Die 55-jährige gebürtige Essenerin wohnt jetzt in Horn-Bad Meinberg. Ihr Ururgroßvater väterlicherseits, der am 20. April 1809 in Wesel geborene Hermann Richter, war als Nachfolger des Pfarrers Alfred Reinhold Natorp von 1842 bis zu seinem Tod am 1. Mai 1883 Pfarrer in Gahlen.

Küsterin Marianne Schulte (r.) empfing Werner Köhler und Almuth Höhn an der Gahlener Dorfkirche und war überrascht über Almuth Höhns Mitbringsel zur Lebensgeschichte der beiden Gahlener Pfarrer Richter. Foto Scheffler
Küsterin Marianne Schulte (r.) empfing Werner Köhler und Almuth Höhn an der Gahlener Dorfkirche und war überrascht über Almuth Höhns Mitbringsel zur Lebensgeschichte der beiden Gahlener Pfarrer Richter. Foto Scheffler

Hermann Richters Frau Emma (geb. Oberste-Frielinghaus) brachte am 9. Dezember 1845 den gemeinsamen Sohn Friedrich Wilhelm Hermann Richter zur Welt, der ebenfalls Gahlener Pfarrer war, Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1883 übernahm er dessen Amt bis zu seinem eigenen Tod am 2. November 1913. Insgesamt hatten die beiden Pfarrer Richter also 71 Jahre lang die Verantwortung für die evangelischen Christen des Lippedorfes.

Der gebürtige Weseler Hermann Richter war von 1842 bis 1883 Pfarrer in Gahlen. Repro Scheffler
Der gebürtige Weseler Hermann Richter war von 1842 bis 1883 Pfarrer in Gahlen. Repro Scheffler

Von dieser Tätigkeit war in Gahlen bislang nicht allzu viel bekannt. Zwei Tafeln in der Dorfkirche erinnern an die beiden Pfarrer. Sechs Grabsteine auf dem Dorffriedhof sind steinerne Zeugen der ehemaligen Pfarrersfamilien. Der jüngere Pfarrer war am 22. Oktober 1869 mit von der Partie, als Bürgermeister Kerkhoff in Gartrop sein 25-jähriges Dienstjubiläum feierte. Von diesem Pfarrer Richter stammt eine mehrseitige Abhandlung über die Gahlener Glocken, die im Oktober-Pfarrbrief 1992 der Gahlener Kirchengemeinde abgedruckt wurde. Die Fotos beider Pfarrer wurden im Jahre 1952 in der Festschrift zum 400-jährigen Bestehen der Evangelischen Kirchengemeinde Gahlen abgedruckt.

Der gebürtige Gahlener Hermann Friedrich Wilhelm Richter war von 1883 bis 1913 Pfarrer in Gahlen. Repro Scheffler
Der gebürtige Gahlener Hermann Friedrich Wilhelm Richter war von 1883 bis 1913 Pfarrer in Gahlen. Repro Scheffler

Jetzt wissen die Gahlener wesentlich mehr über ihre beiden Pfarrer namens Richter. Begleitet von Werner Köhler, kam Almuth Höhn ins Lippedorf, um die Tafeln und die Grabsteine ihrer Vorfahren zu besichtigen. Bei dieser Gelegenheit überraschte sie mit einigen Mitbringseln, die sie im Gemeindehaus der Küsterin Marianne Schulte zeigte. Dazu gehörte ein Stammbaum der Familie. Danach heiratete ihr Ururgroßvater, der ältere Gahlener Pfarrer, am 12. Dezember 1841 in Wengern an der Ruhr Emma Oberste-Frielinghaus, die am 19. Juli 1869 in Gahlen starb. An sie erinnert ein Grabstein auf dem Gahlener Friedhof. In dem Familienstammbaum Almuth Höhns findet man den 22. November 1889 als Hochzeitstag ihrer Urgroßeltern Hermann Richter und Katharina Lenz. Deren Tochter Katharina Richter, die am 14. Februar 1892 geboren wurde, ist die Großmutter Almuth Höhns.

Auszug aus der Predigtsammlung. Repro Scheffler
Auszug aus der Predigtsammlung. Repro Scheffler

Almuth Höhn zeigte ein gemaltes Bild des Gahlener Pfarrhauses. Ihre Schwester verwahrt Mitschriften von Vorlesungen auf, die der ältere Pfarrer Hermann Richter während seines Studiums in Berlin besuchte. Im Sommersemester 1829 hörte er die Psychologie-Vorlesung Dr. H. Ritters und die Vorlesung „Einleitung in die Schriften des NT“ bei Dr. F. Schleiermacher; im Wintersemester 1829/30 die Vorlesung „Christliche Moral“ bei Dr. A. Neander. Erhalten geblieben sind auch mehrere Ordner Briefe, die zwei Brüder (Gustav und Carl) des älteren Pfarrers Richter als Auswanderer aus Amerika schrieben.

Gräber der Familie Richter auf dem Gahlener Friedhof. Foto Helmut Scheffler
Gräber der Familie Richter auf dem Gahlener Friedhof. Foto Helmut Scheffler

Interessante Informationen enthielten auch die Aufzeichnungen von Almuth Höhns Vater Walter Kraemer über seinen Urgroßvater, den älteren Gahlener Pfarrer Richter. Er war Gymnasiast in Wesel. Die Königliche Abiturien-Prüfungs-Commission erteilte ihm am 20. April 1828 ein gutes Entlassungszeugnis. Im Sommersemester 1828 und im Wintersemester 1828/29 studierte er in Bonn evangelische Theologie. Er wechselte dann nach Berlin, wo er vom 29. April 1829 bis zum Schluss des Wintersemesters 1829/30 Vorlesungen hörte. Nach Mitteilungen Walter Kraemers, der sich auf mündliche Überlieferungen seiner Mutter Katharina Kraemer (geb. Richter) berief, soll Hermann Richter preußischer Landtagsabgeordneter gewesen sein.

29. September 2014: Almuth Höhn am Grab ihres Ur-Ur-Großvaters
29. September 2014: Almuth Höhn am Grab ihres Ur-Ur-Großvaters. Foto Helmut Scheffler

Auch zu seinem Großvater, dem jüngeren Gahlener Pfarrer Hermann Friedrich Wilhelm Richter, fand Walter Kraemer einige biografische Details heraus. Der Großvater besuchte zunächst das Gymnasium in Burgsteinfurt, das er am 29. August 1865 mit dem Reifezeugnis verließ. Am 31. Oktober 1865 wurde er an der Universität Bonn immatrikuliert Ab dem 2. November 1867 studierte er weiter in Berlin.

Die beiden Gedenktafeln in der Gahlener Kirche erinnern an die beiden Gahlener Pfarrer der Familie Richter. Foto Helmut Scheffler
Die beiden Gedenktafeln in der Gahlener Kirche erinnern an die beiden Gahlener Pfarrer der Familie Richter. Foto Helmut Scheffler

Die bedeutendste Hinterlassenschaft des jüngeren Pfarrers Richter umfasst etwa 200 Seiten. Es handelt sich dabei um gebundene Niederschriften seiner Predigten aus den 1870er-Jahren. Almuth Höhn ist bereit, seitens der Evangelischen Kirchengemeinde Gahlen oder des Heimatvereins Reproduktionen der wertvollen Sammlung anfertigen zu lassen. Da Predigten sehr häufig auch Bezug auf den Alltag der Menschen nehmen, kann man erwarten, auf den 200 Seiten viel Gahlener Lokalkolorit wiederzufinden. H.Sch.

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.