Steinerne Zeugen der Schermbecker Geschichte

Teil 6: Ehemalige reformierte Kirche

Es gibt kein zweites Gebäude im Gemeindegebiet, das in so unterschiedlicher Weise genutzt wurde wie die heutige Kulturstube in der ehemaligen reformierten Kirche nahe der Burg.

Die Anfänge der Kirche reichen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück. Neben der in Schermbeck existierenden lutherischen Gemeinde scharten sich – unter Führung des ansässigen Adels und der dem reformierten Bekenntnis aufgeschlossenen Beamtenschaft – zahlreiche Gläubige um den ersten reformierten Prediger Arnold Seither. Die Gräfin von Velen hat, wie der Brichter Heimatforscher Dr. Dr. Arnold Maas feststellte, die Hofprediger ihres Glaubens, die auch für die Schermbecker Reformierten zuständig waren, stets gefördert.

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Am 28. Mai 1786 wurde diese zweite reformierte Kirche feierlich eingeweiht. Heute wird das barocke Gebäude als Kulturstube genutzt. Foto: Scheffler

Die erste reformierte Kirche wurde am 9. Oktober 1685 eingeweiht. Sie stand an der Ecke der heutigen Mittelstraße/Hogen Mai (heute: Einrichtungshaus Vennhoff). Durch die Nachlässigkeit eines Corps hannoverscher Soldaten ist sie am 28./29. September 1742 abgebrannt. Über vier Jahrzehnte hindurch hielten die Reformierten ihren Gottesdienst in der benachbarten Georgskirche, waren aber gleichzeitig bemüht, Gelder für den Bau einer neuen Kirche aufzutreiben. Der preußische König genehmigte schon 1744 eine Sammlung. Auf dem Gelände des alten Burglehnhauses begannen 1783 die Bauarbeiten. Am 28. Mai 1786 wurde die zweite reformierte Kirche, die bis heute erhalten geblieben ist, feierlich eingeweiht.

In den folgenden zwei Jahrhunderten hat die Kirche mehrmals ihre Nutzung geändert. Während der napoleonischen Befreiungskriege erteilte der zuständige Unterpräfekt dem Maire (Bürgermeister) Maassen die Genehmigung zur Errichtung eines Lazaretts. Mit dem Übergang der rheinischen Gebiete an Preußen nach dem Wiener Kongress (1815) nahm sich König Friedrich Wilhelm III (1770-1840) beherzt des Anliegens an, die ohnehin abgeflachten Gegensätze zwischen Reformierten und Lutheranern gänzlich zu beseitigen. Nach 13-jährigen zähen Verhandlungen gelang es, die Vereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinde im Sinne der Cabinettsordre von 1817 zu vollziehen. Am 24. Oktober 1830 wurde in der kleinen reformierten Kirche die letzte Predigt gehalten; danach zogen die Gläubigen der vereinten Gemeinde in die Georgskirche, wo sie von Pfarrer Alfred Reinhold Natorp empfangen wurden.

 85 Jahre lang diente der barocke Bau als Schulgebäude, bis 1915 eine neue evangelische Schule (heutige Gemeinschaftsgrundschule an der Weseler Straße) ihrer Bestimmung übergeben wurde. Während man 1926 bis 1928 die Georgskirche gründlich renovierte, wurde die reformierte Kirche zum Notbehelf für die evangelische Gemeinde.

Die Zerstörung der Georgskirche durch die Bomben der Alliierten im März 1945 ließ das kirchliche Gemeindeleben noch einmal in der ehemaligen reformierten Kirche erblühen. Sechseinhalb Jahre lang wurde hier Gottesdienst gefeiert, bis 1954 auch Schulunterricht erteilt.

Als einer der schönsten nach dem Krieg noch erhaltenen Barockbauten am Niederrhein wurde die kleine oktogonale Kirche unter Denkmalschutz gestellt. In dem renovierten Bau wurde am 1. Juni 1956 eine Zweigstelle der Kreisbücherei eingerichtet und seit 1975 als Kommunalbücherei ausgebaut.

Im Laufe der Jahrzehnte platze diese Bücherei aus allen Nähten. Büchereileiterin Ruth Arand stapelte 1992 einen Teil der Bücher sogar im Toilettenraum. Im Zuge der Planungen für ein neues Rathaus und für ein soziokulturelles Zentrum im Rathausaltgebäude entstand auch ein Anbau für die neue Bücherei, die am 1. Oktober 1996 bezogen wurde.

Die ehemalige reformierte Kirche war wieder frei geworden. Auf die Frage nach der weiteren Nutzung fand ein Arbeitskreis der Georgsgemeinde eine Antwort: Im Winter 1996/97 nutzte die Künstlergruppe „Nebelgruppe“ das Gebäude als Atelier.

Nachdem die Georgsgemeinde der Gemeinde Schermbeck das Gebäude am 1. August 1998 zum symbolischen Preis von einer Mark „verkauft“ hatte, wurde das Gebäude für 345 000 Mark renoviert. Das sanierte Gebäude wurde am 20. September 2003 feierlich eingeweiht. Seither dient das ehemalige Kirchlein als Kulturstube für vielfältige Veranstaltungen. Im Jahre 2010 wurde das Gebäude allerdings noch einmal als Gotteshaus genutzt, als die Georgskirche renoviert wurde. Im Rahmen des Abschiedsgottesdienstes wurde am 29. August 2010 die drei Monate junge Lina Töns von Pfarrer Dieter Hofmann getauft.

Gegenwärtig gerät das Gebäude angesichts der gebeutelten Gemeindekasse ins Visier der Politiker. „Es muss gespart werden“, heißt die Devise, und am Donnerstag deutete der Kämmerer an, dass man in diesem Zusammenhang auch in irgendeiner Form über die Kulturstube nachdenken müsse.

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