Alliierte legten am 23. März 1945 einen Bombenteppich auf den Ort
Schermbeck Das Getöse explodierender Bomben und das nicht abreißende Heulen der Sirenen während des Februarbombardements im benachbarten Wesel klangen den Schermbeckern noch im Ohr, als am Nachmittag des 23. März 1945 die Bevölkerung die schlimmen Auswirkungen von Montgomery`s Operation Plunder hautnah zu spüren bekam.
Die Lage im niederrheinisch-westfälischen Grenzbezirk begann sich schon Wochen vorher zuzuspitzen. Wie Herbert Bernhard, Johann Nitrowski, Ulrich Dinkelager und Alexander Berkel in ihren umfangreichen Forschungsarbeiten dokumentiert haben, waren die alliierten Armeen am linken Niederrhein bis Anfang März so weit vorgedrungen, dass eine Rheinüberquerung geplant werden konnte. Ziel des Rheinübergangs war, eine Einkesselung des Ruhrgebietes vorzunehmen und den Angriff aufs Norddeutsche Tiefland zu starten.
Regina Jacobs (geb. Vitt), eine Angestellte des Bürgermeisteramtes Schermbeck, hat damals in ihrem Tagebuch die sich zuspitzende Lage in Schermbeck beschreiben.
25. Februar 1945: „Es wird immer bedrohlicher für uns hier in Schermbeck. Jede Nacht verbringen wir mehrere Stunden im Keller. Auch am Tage ist oft Fliegeralarm. Die Hoffnung, dass der Rhein die Alliierten aufhalten könnte, wird so langsam von uns allen begraben. Vor unserem Bürgermeisteramt, dort wo die Bahnhofstraße mit der Weseler Straße zusammentrifft, ist eine gewaltige Panzersperre gebaut worden. Vor einigen Tagen schickte mich der Bürgermeister zu einem Hauptmann, der bei Prinz [die Red.: in der Burg] einquartiert ist. Ich sollte ihn fragen, ob er bereit sei, den Volkssturm auszubilden. Der Hauptmann war selbstverständlich dazu bereit. So werden also jetzt jeden Abend die wenigen Männer, die noch in Schermbeck sind, mit der Panzerfaust vertraut gemacht.“
10. März 1945: Heute haben wir Einmannlöcher gegraben. Jeder, der sich dazu in der Lage sah, hat fleißig mitgeholfen. Wir haben die Löcher an der linken Seite der Bahnhofstraße [die Red.: Maassenstraße] gegraben. Sie sollen ein Schutz gegen die Angriffe der Jabos sein. Die schießen ja tatsächlich auf alles, was sich auf der Straße bewegt. Vor einigen Tagen wurden wir im PKW des Bürgermeisters, auf der Fahrt zur Kartenausgabe nach Brünen, von einem Jagdbomber beschossen, Fahrradfahrer und einzelne Fußgänger werden angegriffen. Die Einmannlöcher können aber auch, wie ein Kollege mir sagte, für den Volkssturm sein. Die Männer sollen mit ihrer Panzerfaust aus diesen Löchern die vorrückenden Feinde beschießen. Aber keiner glaubt so recht an die Wirkung. Vielmehr hofft man immer noch auf die Wunderwaffe, die im letzten Moment eingesetzt werden soll.“
18. März 1945: „Immer mehr Soldaten müssen in Schermbeck und den dazugehörigen Gemeinden einquartiert werden. Alle Häuser sind voll belegt. Auch Pferde müssen untergestellt werden. Zum Teil schlafen die Soldaten bei den Pferden in Scheunen und Ställen. Im Bürgermeisteramt liegen ermattete, z. T. verwundete Soldaten auf dem Boden der Büros und in den Fluren. Auch bei uns zu Hause ist alles belegt. Ein Leutnant mit 10 Männern von der Flak haben bei uns Quartier genommen. Weil wir nicht so viele Betten haben, schlafen die Männer auch auf dem Fußboden.“
20. März 1945: „Wir haben gehört, dass auch kleine Orte gezielt bombardiert werden, wenn sie auf der Vormarschlinie liegen. So laufen wir Schermbecker jetzt bei jedem Alarm sofort aus dem Ort heraus. Heute habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen den halben Tag im Dämmerwald verbracht. Das Wetter war so richtig frühlingshaft. Wir hatten Decken mitgenommen und konnten somit sehr schön auf dem weichen Waldboden sitzen. Aber wir dachten nicht an Sonne, Frühling und schöne Natur. Wir saßen da und lauschten nur auf das gleichtönige Brummen der Bombengeschwader. Und wenn wir dachten, jetzt ist alles still, bald muß Entwarnung kommen, dann hörten wir schon wieder aus der Ferne das unheimliche Summen neuer anfliegender Geschwader. Zu Hause gehen meine Eltern und Geschwister bei Alarm in den Keller. Unser Haus, so meinen sie, läge weit genug vom Ort entfernt. Vater allerdings ist während des ganzen Krieges nicht einmal im Keller gewesen. Wenn die Bomber über Schermbeck hinwegbrausen, hält sich Vater immer draußen unter den dicken Kastanienbäumen auf. Er fühlt sich dort sicherer und freier, sagt er. Meist erscheint er schon, bevor die Entwarnung ertönt, bei uns an der Kellertür und ruft: „Beten einstellen, Gefahr vorüber.“ Aber vor einigen Tagen ist es ihm doch unter den Bäumen etwas mulmig geworden. Es war in der Nacht, als in der Nähe in Brinkämpers Wiese, dort wo der Froschteich war, den wir als Kinder so liebten, eine Sprengbombe herunter kam. Wir hörten im Keller das Zischen einer fallenden Bombe und dann die Explosion. Wir dachten, es ist auf unserem Hof passiert und was mag mit Vater sein. Aber es dauerte nicht lange, da hörten wir ihn an der Kellertür sein Sprüchlein sagen. Es kam zwar etwas verhaltener als sonst heraus. Er erzählte uns, dass er auch gedacht hätte, die Bombe käme auf unseren Hof herunter und er hätte sich ganz fest an den Stamm einer Kastanie gepresst.“
22. März.1945: „Heute kam der erwartete Angriff auf Schermbeck. Gott sei Dank haben die Bomben den Ort verfehlt. Viele, viele Sprengbomben sind zwischen Uefte und Altschermbeck gefallen. Wir waren vom Bürgermeisteramt bei Alarm auch wieder ins Freie gelaufen. Wir hatten uns diesmal die schlechteste Richtung ausgesucht. Wir waren im Lichtenhagen. Die Erde dröhnte von den Bombeneinschlägen. Wir dachten, dass wir nicht heil davonkommen würden. Eine Bombe hörten wir auf uns zukommen. Wir warfen uns auf den Boden. Der Einschlag war ganz nah hinter uns. Als wir aufstanden, waren wir voller Erde, die durch den Einschlag auf uns geflogen war. Jetzt haben wir alle Angst, dass die Feinde noch einen Angriff auf Schermbeck machen, die haben ja auch gemerkt, dass der heutige danebengegangen ist.“
Freitag, der 23. März 1945: „Nun ist Schermbeck vollkommen zerstört. Alle Schermbecker flüchteten ins Freie. Ich hatte mein Fahrrad mit ins Bürgermeisteramt genommen, hatte meinen Angehörigen gesagt: ´Lauft nach Halfmann, wenn Alarm kommt, ich komme da auch hin.` (Dort ist nämlich meine Schwester verheiratet.) Der Hof ist weiter vom Ort Schermbeck entfernt als unser Haus. Meine Angehörigen waren aber nicht bei Halfmanns. Sie waren zu Hause geblieben. So stand ich dort auf dem Hof und sah die Bombengeschwader auf Schermbeck zufliegen, sah, wie sie über Schermbeck ihre verheerende Last abwarfen. Bewusst hatte ich noch nie Bomben aus einem Flugzeug fallen sehen. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass sie senkrecht, mit der Spitze nach unten zur Erde fallen. Jetzt sah ich sie waagerecht hintereinander aus den Bombern fallen. Eine ganze Serie aus jedem Flugzeug und dann die Explosion und Rauch und Qualm von den Brandbomben, manchmal ein kleiner Feuerschein, aber der Qualm war stärker. Ich konnte mein Elternhaus beobachten. Es blieb Gott sei Dank verschont.“
7. April 1945: „Die Ereignisse haben sich seit dem 23. März, dem Tag der Zerstörung von Schermbeck, überschlagen. Ich kam nicht mehr dazu, in mein Tagebuch zu schreiben. Wie ich hörte, sollen nur 2 Menschen bei dem Angriff getötet worden sein. Alle Schermbecker hatten den Ort verlassen. Ins Krankenhaus fiel ein Volltreffer ins Mittelschiff. Die Schwestern hatten aber alle Kranken in den Keller schaffen können, so dass keiner verletzt oder getötet wurde. Im Dorf Altschermbeck fielen meist Sprengbomben. In Schermbeck waren es mehr Brandbomben. In Altschermbeck sind viele Häuser durch Sprengbomben weggerissen worden z. B. Dahlhaus, Fasselt, Nappenfeld. Bei Gerten hat der Saal einen Volltreffer bekommen. In Schermbeck sind – von der Apotheke angefangen – rechts und links der Straße fast alle Häuser zerstört. 4/5 der Stadt soll zerstört sein, rund 85 Häuser im Dorfkern. Unser schönes Schermbeck ist ein einziger Trümmerhaufen.
Bei dem Durchmarsch der alliierten Truppen (ja, inzwischen ist alles vorbei) sind die noch stehenden Mauern der zerstörten Häuser mit Panzern zurückgeschoben worden, so dass die Durchfahrtsstraße für die Alliierten breiter wurde. Böckenhoffs Haus, welches gar nicht so sehr beschädigt war, hat man auch einfach zu einem Viertel zerstört und zurückgeschoben. Das Bürgermeisteramt ist so gut wie unbeschädigt. Dagegen ist die Villa, in der der Bürgermeister wohnte, vollkommen zerstört. Die Bahnhofstraße ist mit einigen Ausnahmen ziemlich verschont geblieben.“
Die Alliierten hatten sich am 23. März den Weg erst einmal freigebombt. Am nächsten Tag begann ihre Rheinüberquerung und wenige Tage spätrer zogen die alliierten Truppen durch Schermbeck. H.Sch.