Pastor Honermann: Predigt zum Kirchbau-Jubiläum

Am Sonntag wurden die einjährigen Feiern des Kirchbau-Jubiläums in der Ludgeruskirche eröffnet (wir berichteten). Im Rahmen der Festmesse trug Pastor Klaus Honermann die folgenden Gedanken in seiner Predigt vor:

„Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“
Festpredigt zur Eröffnung des Jubiläumsjahres
Vor 100 Jahren wurde der Grundstein gelegt. Dort unten an der Wand zur Sakristei können wir den Jahreszahl 1914 sehen. Und mit diesem Gottesdienst legen wir sozusagen den Grundstein für unser Jubiläumsjahr. 100 Jahre Ludgerus-Kirche. Wobei an dieser Stelle schon seit mehr als 1200 Jahren eine Kirche stand, in der die Gemeinde sich zum Gebet versammelt hat. Dass dieser Kirchenbau in der Zeit des 1. Weltkriegs gebaut wurde, ist erstaunlich. Auch wenn die Planungen und das Sammeln der Gelder vorher begonnen haben, so verwundert doch, welch eine Kraft und Überzeugung dahinter gesteckt hat.
In dem Jahr, als der verheerende Krieg mit seinen Giftgas-Angriffen und den fürchterlichen Grabenkämpfen ganz Europa verwüstete, als unzählige Städte mit ihren Wohnhäusern und Kirchen zerschossen wurden, da wurde hier bei uns das positive Gegenteil bewirkt:
• statt Zerstörung – Aufbau
• statt Vernichtung von Leben und Lebensraum – Bejahung von Leben und Schaffen eines Lebensraumes
• statt Vergötzung der Macht – die Anbetung der ohnmächtigen Liebe Gottes
• statt Nationalismus – ein geistiges Gebäude, in dem alle Nationen und Sprachen ihren Platz haben im Gottesvolk; jedenfalls vom Ansatz her.
• statt Kaiserbegeisterung – die begeisternde Verehrung des wahren Königs Christus, dessen Fest wir heute feiern.
Selbstkritisch müssen wir aber wohl hinzufügen, dass damals wohl auch unsere Gemeindemitglieder nicht ganz frei waren vom Zeitgeist. Natürlich gab es auch in Schermbeck Nationalismus. Wenn nicht wenige vor 100 Jahren mit Hurrarufen in den Krieg gezogen sind und gejubelt wurde, als wenn man zu einem sportlichen Wettkampf mit Siegesgarantie ziehen würde,
so wissen wir es heute natürlich besser. Später ist man immer klüger.
Doch wir können uns heute fragen: wem gilt unser Jubel? Und: jubeln wir aus Anlass des Jubiläums? Ich meine, wir dürfen dankbar jubeln mit den festlichen Klängen des Chores und der Musik von Kapelle Einklang. Wir dürfen innerlich jubeln, weil die Begeisterung nicht unserem eigenen Wirken gilt, sondern dem, welcher der Grundstein der Kirche ist: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11) so hörten wir eben in der Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Korinth. Keine Selbstbeweihräucherung. Dazu haben wir als Kirche auch keinen Anlass. Aber eine dankbare Selbstvergewisserung, dass wir einen tragfähigen Grund haben für unser Feiern. Seit 100 Jahren wird in dieser Kirche gebetet, geschwiegen, gesungen, gefragt und nachgedacht, gedankt und gefleht, gefeiert und getrauert, getauft und geheiratet. Es ist der Ort, wo der einzelne Glaubende und Suchende sich an Gott wendet, gelegentlich eine Kerze
anzündet oder einfach nur still wird.

Pastor Klaus Honermann predigte am Sonntag. Foto: Scheffler
Pastor Klaus Honermann predigte am Sonntag. Foto: Scheffler

Wo ist übrigens Ihr persönlicher Platz in unserer Kirche, wo Sie sich am liebsten hinbegeben, der Ihnen vertraut ist? Die Kirche ist gewissermaßen unser gemeinsames „Wohnzimmer“. Sie ist der Raum, in dem wir gemeinsam als „Volk Gottes“ die Gegenwart Gottes unter uns erfahren möchten. Volk Gottes – dieser Name zeigt das neue Selbstverständnis von Kirche an, das mit dem II. Vatikanischen Konzil gekommen ist. Vorgestern war der 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Ökumene-Dokuments. Kirche – das ist nicht mehr denkbar und vor allem lebbar ohne unsere evangelischen Schwestern und Brüder.
Zusammen mit ihnen möchten wir die lebendige Gegenwart Gottes erfahren. Sie ist Geschenk – nicht etwas, das wir organisieren oder durch besonders feierliche Gottesdienste herbeiführen können. Es liegt aber an uns, dass wir uns immer neu öffnen für das Kommen Gottes; dass wir Gott „einlassen“ und zulassen, dass Er uns begegnet – und wir uns nicht selber nur antreffen. Wo wir Gott einlassen, gehen wir gelassener und verwandelt wieder hinaus.
„Wo wohnt Gott?“ Mit dieser Frage überraschte ein Rabbi einige gelehrte Männer, die bei ihm zu Gast waren. Sie lachten über ihn: „Wie redest du! Ist doch die Welt seiner Herrlichkeit voll!“ Er aber beantwortete die eigene Frage: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“ „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“ Wenn wir miteinander in unserer renovierten Kirche Gottesdienst feiern, dann deshalb, damit wir Gott einlassen können in alle anderen Lebens-Räume. Vom Gottesdienst aus gibt es die Sendung in die Welt hinein: in die Arbeits- und Freizeitwelt, in die verschiedenen sozialen Räume bis hinein in die Politik als Aufgabenfeld von Gestaltung menschlichen Zusammenseins. Kirche darf natürlich Oase und Ruhepunkt sein, aber kein Ghetto oder Rückzugsraum einer vom Aussterben bedrohten Spezies. Das Kirchengebäude ist Symbol und Verdichtung unseres Selbstverständnisses als Gemeinde. Alle Bemühungen, den Raum der Kirche schön zu gestalten – von der Harmonie des Raumes selbst über die Beleuchtung und die religiösen Kunstwerke bis hin zum Blumenschmuck – sie alle sind der Versuch, etwas von jenem Himmel erahnen zu lassen, der im Gottesdienst verkündet und gefeiert wird. Auch wenn an der Decke unserer Kirche kein Sternenhimmel gemalt ist wie in der Kevelaerer Basilika, so ist unsere Sehnsucht doch die gleiche wie dort: ein wenig Himmel erspüren.
Am Christkönigsfest vor 3 Jahren sind wir wieder in die Kirche eingezogen. So wie bei der Renovierung 2011 das  mittelalterliche Fundament frei gelegt wurde und später ein tragendes Beton-Fundament gegossen wurde, so geht es auch beim Aufbau der geistigen Kirche um das Freilegen unseres Glaubens-Fundaments. Und das geschieht immer dann,
wenn wir über unseren Glauben ins Gespräch kommen.
Beim 750-jährigen Domjubiläum hatte die KAB eine interessante Idee: Die 30 Ehren- und Hauptamtlichen packten am Ende des Tages über 2000 bunte Puzzleteile zusammen mit Antworten auf die Frage: „Was gehört für mich zu einem sinnvollen Leben?“ Viele Teilnehmer kamen darüber ins Gespräch. Die Glaubenserfahrungen der anderen gehören zum Gesamtbild unserer Glaubensperspektive. Und das tragende Fundament? Das ist kein fest betonierter Fundamentalismus.
Das tragende Fundament unserer Gemeinde und eines jeden Einzelnen ist kein Lehrgebäude, sondern eine Person: Jesus Christus. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11) Und weil Jesus am Kreuz jeden festen Grund verloren hat und bodenlos zwischen Himmel und Erde hing, ist ER der Grund unseres Glaubens und unserer Hoffnung. Weil ER der Grund unseres Glaubens ist, darum haben wir allen Grund, auch dieses Jubiläum zu feiern: ein ganzes Jahr lang. Denn wir feiern nicht uns, sondern Ihn.
Wenn wir froh werden in unseren Kitas und im Marienheim, bei Kolping und KAB, bei kfd und Kirchenchor, bei Messdienern und Pfadfindern, bei den Familienkreisen und Senioren – dann ist Jesus Christus mit dabei, sozusagen „mitten drin“. Vom Jugendaktionstag und dem Familien-Aktionstag über das Ökumenische Wandelkonzert bis hin zur Lichtinstallation und nicht zuletzt der große Festgottesdienst beim Pfarrfest – um nur einiges zu nennen: alle Veranstaltungen des Jubiläumsjahres, die seit langem vom Vorbereitungskreis geplant wurden, sollen die Erfahrung vermitteln: „Kirche mitten drin“. Kirche mitten drin in unserem Leben. Kirche mitten drin in unserem Ort. „Man muss die Kirche im Dorf lassen“ – so wird gesagt, wenn wir betonen wollen, dass man nicht übertreiben soll. Aber auch um zu sagen, dass die Mitte nicht verloren gehen soll. Kirche als Mitte des Ortes? Geografisch mag das – nicht nur bei uns – oft noch stimmen. Gelegentlich auch wahrgenommen als Wahrzeichen. Aber immer mehr Kirchen werden geschlossen, abgerissen, einer anderen Verwendung zugeführt. Ein deutliches und schmerzhaftes Zeitzeichen.
Kirche als Mitte des Ortes? Kirchliches Miteinander als Mitte von gesellschaftlichem Leben – das ist in den letzten Jahren immer mehr zurück gegangen – vielleicht bei uns in Schermbeck noch nicht so radikal wie andernorts. Wenn Christus der tragende Grund unseres persönlichen und Gemeindelebens ist, dann brauchen wir davor nicht ängstlich die Augen verschließen. Mit Chiara Lubich können wir uns gegenseitig erinnern an das zentrale Geheimnis von Kirche-Sein. Sie schreibt: „Was mich vielleicht stärker als alles Übrige getroffen hat, als ich mich in die Wirklichkeit der Gegenwart Christi unter uns vertiefte, war, dass ihm dafür auch wenige Menschen genügen, zwei oder drei. Und dass er dort, wo er lebt, jenes Werk schafft, das zu wirken Er auf die Erde kam: Die Kirche. Das hat in mir die unermessliche Leidenschaft entfacht,
ihm tausend und abertausend Kirchen zu erbauen. Keine Kirchen aus Stein, sondern bestehend aus zwei oder drei Menschen, die in seinem Namen vereint sind – überall auf der ganzen Welt.“

Klaus Honermann

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Anmerkung der Redaktion:

Die Predigt haben mir mit freundlicher Genehmigung von Frau Barbara Böing von der Homepage der Ludgerusgemeinde übernommen. Weitere Predigten finden Sie dort. Sie gelangen zu den Predigten <<<hier>>>.

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.