Hildegard Daldrup kämpft gegen die Beseitigung von Lebensräumen für Insekten
Für zwei Mitarbeiter des gemeindlichen Bauhofes begann die Mittagspause am Mittwoch eine halbe Stunde früher als geplant.
Die Gahlenerin Hildegard Daldrup stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor den Schmalspurtraktor mit seinem angebauten Mähwerk, um das Mähen der Grünflächen zwischen dem Rathaus und dem nahen Parkplatz zu verhindern.
Einen Steinwurf vom Platz ihres Protestes entfernt hat Hildegard Daldrup am 31. Oktober letzten Jahres an einer ganz besonderen Ehrung teilgenommen.
Damals überreichten ihr der gemeindliche Klimaschutzmanager Thomas Heer und Dirk Krämer, der Kommunalbetreuer der Firma innogy, im Beisein des Bürgermeisters Mike Rexforth den innogy Klimaschutzpreis.
Wir Menschen sind doch keine Steinmenschen
Die Urkunde bescheinigt ihr noch heute ein „Engagement für bunte Vorgärten und gegen die Verbreitung von Schottergärten.“ Die Gahlenerin hatte nicht nur ihren eigenen Vorgarten am Steinbergweg mit Wildbienen zu einem Insektenparadies umgewandelt. Sie war auch unermüdlich unterwegs, um andere Menschen zu ermutigen, ihrem Vorbild nachzuahmen. „Wir Menschen sind doch keine Steinmenschen“, hieß damals und auch heute noch ihr Credo, mit dem sie möglichst viele Menschen überzeugen möchte, auf Schottergärten zu verzichten.
Streifen zwischen Fahrradweg und der Straße
Als eine von mehr als 7000 Personen, die in den letzten 25 Jahren den innogy Klimaschutzpreis erhielten, musste die 74-jährige Hildegard Daldrup in der letzten Woche feststellen, dass unweit ihrer Gahlener Wohnung auf einem Streifen zwischen Fahrradweg und der Straße „Kirchweg“ von Mitarbeitern des gemeindlichen Bauhofes jene blühenden Pflanzen beseitigt worden waren, die sie kurz zuvor noch fotografiert hatte.
„Es macht doch keinen Sinn, wenn Bürger etwas schützen, was die Gemeinde dann zunichte macht“, erklärte Hildegard Daldrup in der Rückschau ihre Verärgerung über das Handeln der Gemeinde Schermbeck.
Unsinn der Mäharbeiten
Sie griff zum Handy, um dem Bürgermeister Mike Rexforth, dessen Lob vom Oktober sie noch in den Ohren hatte, ihren Unmut zu erläutern. Da der Bürgermeister außer Haus war, bekam sie Gelegenheit, mit dem allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters, Gerd Abelt, zu sprechen. Das längere Gespräch bot beiden Gesprächspartnern Gelegenheit, über den Sinn bzw. Unsinn der Mäharbeiten an Straßenrändern Argumente auszutauschen.
Ihr Ziel, das Einstellen der Mäharbeiten zu erreichen, um einen wertvollen Lebensraum für Insekten zu erhalten, konnte Hildegard Daldrup nicht erreichen. Als das Gespräch beendet war, stand für sie fest, dass sie ihren Protest fortsetzen würde, obwohl ihr der Verwaltungsmitarbeiter als Folgen ihres Handelns massive Konsequenzen angekündigt hatte.
Keine Angst vor einer Strafanzeige
„Ich habe keine Angst vor einer Strafanzeige“, begründete Hildegard Daldrup ihr konsequentes Vorgehen gegen einen Umgang mit der Natur in einer Zeit, in der Wissenschaftler eindringlich vor einer kaum mehr zu stoppenden Verringerung der Artenvielfalt warnen. Auch der Hinweis auf gesetzliche Vorgaben, den sie von Abelt und einem weiteren Gemeinde-Mitarbeiter erhielt, konnte die Gahlenerin nicht beeindrucken. „Wenn Gesetze nicht mehr in die Zeit passen, dann müssen sie geändert werden“, ist sie fest überzeugt.
Dann sei es höchste Zeit, dass Verwaltungen im Interesse der Bürger beim Gesetzgeber vorstellig würden, „um den Unsinn zu beenden.“ Wer das Insektensterben nicht wahrnehme, müsse offensichtlich blind, aber zumindest unbelehrbar sein.
Zwei Tage lang suchte Hildegard Daldrup im Gemeindegebiet nach Mähaktionen im Straßenrandbereich. Der Mitarbeiter, den sie am Dienstagmittag in Bricht antraf, hatte seine Mähwerkzeuge gerade eingepackt, um die Mittagspause zu beginnen.
Reif für die Klapsmühle?
Am Mittwochmorgen traf sie am Rathaus auf Bauhofmitarbeiter, die schon einen Teil der Gräser und Blütenpflanzen abgemäht hatten. Kurzerhand stellte sie sich vor den Traktor und machte auch keine Anstalten, die Weiterfahrt zu ermöglichen, wodurch sie sich im Beisein zweier Zeugen ein paar Beschimpfungen einhandelte und den Wunsch des Traktorfahrers, in eine Klapsmühle eingewiesen zu werden.
Telefonisch bat Hildegard Daldrup Gerd Abelt um ein Gespräch mit ihr. Im Beisein des Bauhofleiters Peter Claessen und der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Ulrike Trick fand das Gespräch statt, das keine Annäherung der Positionen erkennen ließ.
Die Banketten gehören zum Straßenbaukörper
Der Notwendigkeit des Pflanzenschutzes standen die Argumente der Verwaltungsvertreter gegenüber. „Die Banketten gehören zum Straßenbaukörper“, stellte Abelt fest. Sie seien nur nicht mit Asphalt bedeckt. „Wir sind Straßenbaulastträger und als solcher haben wir auch Verpflichtungen“, fügte Abelt hinzu und verwies auf die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV) erarbeiteten Vorgaben, die vom Gesetzgeber übernommen worden seien.
Danach seien Kommunen zur Grünpflege im Straßenrandbereich verpflichtet. Als besondere Gefahrenpotenziale eines zu hohen Pflanzenbewuchses nannte Abelt die Brandgefahr durch weggeworfene Zigarettenstummel und Fahrzeugbeschädigungen durch im Bewuchs versteckte Gegenstände. Im Falle eines Gegenverkehrs würden Teile des Straßenrandbereiches zum Ausweichen benötigt.
Die Auffassung der Menschen ist bunt
„Unsere Welt ist bunt“, merkte Abelt gegen Ende des Gespräches an. Entsprechend bunt seien die Auffassungen der Menschen, wenn es um das Erscheinungsbild der Kommune gehe.
Ulrike Trick griff die Bemerkung auf und verwies auf die Erler Straße, wo es „in den letzten Jahren schon Theater gegeben“ habe. Es müsste, folgerte sie, endlich ein gemeindliches Pflegekonzept entwickelt werden.
Tatenlos will Hildegard Daldrup auch weiterhin nicht zuschauen, wie nützliche Biotope zerstört werden. Sie will einen Bürgerantrag vorbereiten und einreichen mit dem Ziel, dass sich der Gemeinderat mit dem zeitgemäßen Umgang einer Bepflanzung kommunalen Flächen beschäftigt.
Klimaschutzpreis-Urkunde an die Firma innogy
Sollte die Gemeinde weiterhin den unsinnigen Umgang mit der Pflanzenwelt favorisieren, dann werde sie ihre Klimaschutzpreis-Urkunde über die Gemeinde an die Firma innogy zurückgeben. Nicht zurückgeben kann sie die vielen Beutel mit dem Blumensamen, die sie von dem Preisgeld in Höhe von 200 Euro gekauft und an interessierte Bürger abgegeben hat. Aus ihrem Inhalt sind inzwischen in privaten Gärten und Pflanznischen blühende Paradiese für Bienen und Schmetterlinge geworden. Helmut Scheffler