Lippemündungsraum – Freilandlabor und Naturschutzgebiet

Nach dem Umbau muss die Tier- und Pflanzenwelt geschützt werden

 Nachdem die neue Flussaue an der Lippemündung bei Wesel im Mai offiziell eingeweiht worden war, hat die Natur in diesem Sommer große Teile der umgestalteten Flächen erobert. Auch die Menschen zieht es mehr und mehr dorthin. Dabei sind jedoch unbedingt Regeln zu beachten.

 Flussregenpfeifer trippeln auf der Suche nach Nahrung rastlos hin und her, hier ist der schrille Ruf des Austernfischers zu hören, dort der melancholisch anmutende Gesang der Nachtigall. Die Geruchlose Kamille mit ihren gelben Blütenpolstern und der Blutweiderich mit seinen purpurnen Ähren blühen auf den offenen Sandböden, erste Weiden- und Pappelsämlinge bilden Linien an den Ufersäumen.

 Bilder aus einem schönen Traum? Nein, es ist die Realität im Lippemündungsraum in Wesel, dort, wo die Lippe am Ende einer Fließstrecke von 220 Kilometern ihr neues Bett bezogen hat und die bisherige Baustellenlandschaft sich immer mehr zu begrünen beginnt.

 Doch die noch junge Flussaue und ihre neue Lebewelt werden gestört, denn längst haben ungebetene Besucher das Gebiet für ihre Zwecke entdeckt, ja einige von ihnen parken sogar auf einer Fläche, die als Lebensraum für die stark gefährdete Zauneidechse dienen soll.

 Sie alle verkennen, dass der Lippemündungsraum bereits seit dem Jahr 2009 größtenteils als Naturschutzgebiet festgesetzt ist und überdies unmittelbar an das europäische Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“ grenzt. Lagern und Campen am neuen Lippeufer und Hunde unangeleint laufen lassen ist somit ebenso untersagt wie das Betreten der Flächen abseits der Wege. Und Wege sind in der eigentlichen Aue nicht vorhanden, mit Absicht.

 Die Planungen im Lippemündungsraum gehen bis zur Jahrtausendwende zurück. Ausgangspunkt der damaligen Überlegungen war die Notwendigkeit, den Straßenverkehr in Wesel durch eine Südumgehung zu entlasten Allerdings fehlten die hierzu notwendigen Flächen. So wurde die kühne Idee geboren, die Lippe umzuleiten und die Trasse der Südumgehung auf das alte Lippebett zu legen. Ab 2009 hat die Firma Hülkens im Auftrag des Lippeverbandes damit begonnen, Bodenmassen aus der künftigen Aue abzugraben, nachfolgend das neue Lippebett zu modellieren und eine naturnahe Flussaue zu gestalten.

 Der Lippemündungsraum soll und muss den erheblichen Eingriff in den Naturhaushalt ausgleichen, der mit der Lippeverlegung und der Trassierung der Südumgehung verbunden war und ist. Zugleich bietet sich hier eine wunderbare und einmalige Gelegenheit für Wissenschaftler und Mitarbeiter der zuständigen Behörden hautnah erleben und aufzeichnen zu können, wie die Besiedlung einer neugeschaffenen Aue durch die Pflanzen- und die Tierwelt erfolgt.

 Bereits seit 2006 werden in diesem 142 Hektar großen „Freilandlabor“ die Brutvögel erfasst, seit 2012 gehören auch die rastenden Wasservögel und die Wintergäste wie auch die Flora und Vegetation zum Untersuchungsprogramm. Um die Tier- und Pflanzenwelt nicht zu beeinträchtigen, können allerdings nur wenige, behutsame Geländegänge erfolgen.

 Rote Liste-Arten

 Bis heute wurden hier knapp 60 Brutvogelarten gezählt, davon etwa 20 Arten, die in der Roten Liste des Landes Nordrhein-Westfalen verzeichnet sind; rd. 40 Wasservogelarten hielten sich außerhalb der Brutsaison im Lippemündungsraum auf. Zudem wurden bisher annähernd 200 Gefäßpflanzenarten festgestellt, darunter 10 Arten der Roten Liste NRW.

 Auf die weiteren Entwicklungen darf man gespannt sein, zumal jedes Hochwasser die neue Lippeaue dynamisch umgestalten, für die Ansiedlung der einen und das Verschwinden anderer Tier- und Pflanzenarten sorgen wird. Von entscheidender Bedeutung für die Wissenschaft wie auch für den Naturhaushalt ist es, dass die Besiedlung der neuen Aue ungestört von Menschenhand und –fuß ablaufen kann. Dies gilt nicht nur für die dortigen Naturschutzgebietsflächen, sondern für alle Bereiche des Lippemündungsraumes.

 Die Untere Landschaftsbehörde des Kreises Wesel und der Lippeverband als ein Eigentümer der Flächen appellieren an die Bevölkerung, die junge Lippeaue nicht zu betreten und die Zäune und Absperrungen unangetastet zu lassen. Die derart gesperrten Bereiche sind auch keine Hundeauslaufflächen.

 Die durch den Landschaftsplan für den Kreis Wesel bestehenden Regeln bzw. Verbote sind strikt einzuhalten. Der Kreis Wesel weist darauf hin, dass bei Kontrollen festgestellte Verstöße mit empfindlichen Geldbußen geahndet werden können. Nähere Informationen sind beim Kreis Wesel (Herr Finke, Tel. 0281/207-2550, und Frau Krüßmann, Tel. 0281/207-3544) erhältlich.

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.