Leserbrief: Meine persönliche Angst vor der Spaltung der Gesellschaft

Leserbrief von Timo Gätzschmann aus Schermbeck:

Seit dem gestrigen Tag sorgt die Rückzugsentscheidung von Frau Merkel einmal mehr für einen politischen Diskurs. Viele Parteien, Prominente und Politiker äußern öffentlich Ihre ganz persönliche Meinung zum Rücktritt von Frau Merkel.

Auch ich habe natürlich eine Meinung zu Frau Merkel, diese möchte ich im Rahmen dieses Leserbriefes aber gar nicht kundtun. Vielmehr möchte ich an etwas erinnern was in der heutigen Gesellschaft, insbesondere im politischen Diskurs allzu oft übersehen und vergessen wird.

Auch ich mache mir Gedanken um meine Zukunft, mit 29 Jahren habe ich hoffentlich noch den Großteil meines Lebens vor mir. Viele heute getroffenen politischen Entscheidungen werden Einfluss auf den Rest meines Lebens haben, vom Gesundheitswesen bis hin zur Rente.

Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass ich nicht mit 67 in Rente gehen kann und das die heutigen Rentenentscheidungen der Politik, sich bis zu meiner Rente noch etliche Male verändern werden. Von Planungssicherheit keine Spur. Dennoch mache ich mir viel weniger Sorgen um die Renten- oder Gesundheitspolitik, als um den Wandel der Gesellschaft. In diesem Wandel sehe ich persönlich die eigentliche Gefahr für meine Zukunft.

Die Frage nach dem „Warum“

Die Frage, warum das so ist, lässt sich relativ einfach beantworten und zieht sich sowohl durch die Medien als auch durch die Meinungen der deutschen Bürger. Die Einflüsse dieses Wandels sind sowohl auf kommunaler, als auch auf Bundesebene ganz deutlich spürbar. Die Gesellschaft ist dabei etwas essentiell Wichtiges zu verlernen. Sie ist dabei zu verlernen, die Meinung anderer Menschen zu akzeptieren und zu tolerieren, dadurch werden Teile der Gesellschaft immer egoistischer.

Viele Menschen dieser Gesellschaft sehen einfach nur noch sich und ihre ganz persönliche Meinung. Diese Verhalten hat einen massiven Einfluss auf unsere Politik. Immer wieder kritisieren Bürger, dass die Politik keinen Bezug zum Bürger mehr hat und die Meinung des Bürgers nicht gebührend beachtet.

Aber was ist denn überhaupt die Meinung des Bürgers? Es gibt nicht den einen Bürger, dessen Meinung eine Partei, die Kommune oder die Regierung vertreten kann. Wir leben in einer Demokratie und eine Demokratie lebt von Kompromissen. Leider ist die heutige Gesellschaft nur immer weniger bereit Kompromisse einzugehen, der Egoismus obsiegt.

Ein Kompromiss setzt immer voraus, dass beide Seiten (ob Bürger, Parteien, Nachbarn oder sonstige) versuchen, sich in die Lage des anderen zu versetzen um dessen Meinung zu verstehen. In einer Gesellschaft, wo jedoch der Fokus nur noch darin liegt, sich über die negativen Ansichten einer Seite aufzuregen, können Kompromisse nicht funktionieren.

Der Weg im Rahmen einer Kompromissbereitschaft, die positiven Aspekte der anderen Seite zusehen um dieser entgegen zu kommen, wird kaum noch eingeschlagen. Es ist nun mal viel einfacher etwas abzulehnen, als Argumente dafür zu finden. Ein Kompromissversuch der Politik wird daher logischerweise mit dem gleichen Egoismus als schlecht abgestempelt, er spielt ja schließlich nicht exakt die eigene Meinung wieder.

Durch dieses Verhalten verliert die Gesellschaft jedoch nicht nur an Handlungsfähigkeit, sondern jeder einzelne, immer schwarzsehende Bürger, verliert an Lebensqualität. Es sind nicht die negativen Dinge die das Leben lebenswert machen, es sind die positiven.

Um meine vorherige Darstellung etwas anschaulicher darzustellen, möchte ich dieses Verhaltensmuster am Beispiel der Flüchtlingskrise noch einmal verdeutlichen.
Wenn 50% der Gesellschaft „Pro-Flüchtlinge“ wären und 50% der Gesellschaft „kontra-Flüchtlinge“, was kann eine Politik tun, um es beiden Seiten recht zu machen? Die Antwort ist einfach: Garnichts! Es ist egal was sie tut, sie stößt immer einer Seite vor den Kopf. Sie versucht das Problem mit einem Kompromiss zu lösen, aber auch dieser stößt beiden Seiten vor den Kopf!

Was gibt der einen Seite das Recht, von der anderen Seite zu fordern von ihrem Standpunkt abzurücken, sich im Gegenzug aber keinen Millimeter auf die andere Seite zuzubewegen? Auch diese Antwort ist einfach, in einer Demokratie kann es dieses Recht nicht geben! Jeder Mensch unserer Gesellschaft ist genau das gleiche Wert wie jeder andere, das Gleiche gilt genauso für jede Meinung. Wenn also eine Seite, immer nur das negative in der Haltung der anderen sieht, dann wird sie nicht mal in der Lage sein, ein Entgegenkommen der anderen Seite überhaupt zu erkennen.

Es spielt daher keine Rolle, wer Bürgermeister, Bundeskanzler oder Parteivorsitzender ist, diese Personen können es solange nicht richtigmachen, wie der Bürger immer nur das negative sieht.

Appell

Ich möchte daher an alle Leserinnen und Leser appellieren, sich über ihr eigenes Verhalten Gedanken zu machen. Eine flächendeckende selektive Wahrnehmung, bei der die Menschen nur noch vermeintlich negativen Dinge sehen, bedeutet den Untergang der Gesellschaft. Jeder einzelne Bürger sollte seinen eigenen Horizont erweitern, um sich mit den Gedanken, Meinung oder Lebenseinstellungen von vermeintlichen Feinden vielleicht sogar das eigene Leben zu bereichern.

Mit einer positiven Herangehensweise lebt es sich ohnehin besser als mit negativen. Außerdem ist diese Vorgehensweise die einzige Möglichkeit, sich eine fundierte Meinung und damit eine wirkliche eigene Meinung, die diesen Titel auch verdient, zu bilden. Natürlich ist es einfacher, auf seiner eigenen starren Position zu verharren, ohne nach rechts und links zu schauen. Aber eben genau dieses Verhalten ist egoistisch und nicht vereinbar mit einer funktionierenden Gesellschaft.

Der Mensch neigt dazu den Weg des geringsten Widerstandes zugehen, aber dieser Weg ist eben nicht immer der richtige! Wenn diese Veränderung der Gesellschaft anhält, dann ist in den nächsten Jahren der Zerfall der Gesellschaft nicht mehr aufzuhalten. Ohne eine funktionierende Gesellschaft, kann auch keine Politik diese repräsentieren.

Ich bin zwar kein gläubiger Mensch, aber eine goldene Regel findet man zu Recht in fast jeder Religion, ob gläubig oder nicht, in einer funktionierenden Gesellschaft sollte sich jeder Mensch an dem folgenden Satz orientieren: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“