Nele ist besonders, und das ist ihr durchaus bewusst. „Ich fühle mich ganz normal, aber ich merke ja, dass ich mich in gewissen Punkten von meinen Mitschülerinnen unterscheide“, erzählt sie mir. Wenn ihre Klassenkameradinnen sich über Schminke oder „Klamotten-Trends“ unterhalten, kann Nele nicht mithalten. Und bei einigen Themen möchte sie es auch gar nicht. „Meine Welt ist die Schönheit des Kosmos.„
„Der Schulalltag ist nicht immer einfach für Nele“, erzählt mir ihre Mutter. „Für mich aber auch nicht“, fährt sie fort, „es tut mir weh zu sehen, wie meine Tochter außen vor steht.“ Für Nele ist dieser Zustand seit dem Kindergarten normal und setzt sich auch in der Schule fort. Die 15-Jährige ist hochbegabt, geht in die zehnte Klasse der Realschule St. Ursula und hat sich daran gewöhnt Streberin genannt zu werden. „Dabei lerne ich gar nicht, ich höre es einmal und dann behalte und weiß ich es einfach.“ Neles Worte klingen arrogant, aber das ist sie absolut nicht. Nele ist ein Teenager, so wie die ihre Altersgenossen, nur eben mit anderen Interessen, wobei jedoch Netflix und Disney+ genauso zu ihrem Alltag gehören.
Nicht selten eckt sie bei Lehrern an, die sie verbessert oder wenn sie dazu steht, dass sie einige Tests überflüssig findet, weil sie deren Sinn nicht erkennt. Für Nele sind diese Gedankengänge ganz normal, denn wenn sie die Logik dahinter nicht erkennt, sind sie für sie reine Zeitverschwendung.
„Corona war für uns schulisch gesehen ein Glücksfall, denn Nele konnte eigenständig in ihrem Tempo lernen, musste nicht zur Schule und war keinem Mobbing ausgesetzt“, erinnern sich ihre Eltern. „Schulen sollten über den Tellerrand schauen und nachfragen. Dann funktioniert Schule auch für Kinder, die über oder unter dem Durchschnitt liegen“, fährt Neles Mutter fort.
An der Sternwarte fühlt sie sich verstanden
Die Teenagerin verfolgt konsequent ihre Ziele und geht ihren Weg, wenn auch nur mit wenigen Freunden, mit denen sie sich auf Augenhöhe unterhalten kann. Dazu gehören beispielsweise die Kursteilnehmer bei ihrer Doktorandin Marianne in der Recklinghäuser Sternwarte. Dort besucht sie zwei Astro-AGs und fühlt sich dort verstanden.
„Ich kenne viele der Teilnehmer und Professoren des Planetariums, da ich dort ausnahmsweise mein Schülerpraktikum absolvierten durfte. In dieser Zeit arbeitete ich mit ‚Aladin‘, einem Software-Programm für Astrophysik, mit dem ich ein Plakat zu Sternentstehungsgebieten erstellte. Dabei habe ich Bildmaterial von verschiedenen kosmischen Strukturen, welche ich zur Verfügung gestellt bekommen habe, so bearbeitet, dass sie am Ende farbig waren. Welche Farbe ich welchem Element zuordnete, das durfte ich selbst entscheiden. Das war eine richtige wissenschaftliche Arbeit“, ist sie zu Recht immer noch stolz. „Das hat meinen Wunsch, später Astrophysikerin zu werden, noch verstärkt.“ Den Grundstein für ihre Begeisterung legte möglicherweise ihre Uroma mit einem Pop-up-Album über den Weltraum.
Eine der beiden AGs, an denen Nele teilnimmt, ist für jüngere Kinder gedacht, die andere für die Oberstufenschüler. Eigentlich ist die junge Dorstenerin noch zu jung für die zweite AG in der Sternwarte. Aufgrund ihrer Aufnahmefähigkeit in der jüngeren AG darf sie aber auch hierbei teilnehmen.
Wie unterschiedlich die beiden Welten, in denen Nele momentan lebt, sind, zeigte sich an folgenden Beispielen: Ende letzten Jahres hielt Nele in der Sternwarte für interessiertes Publikum eine Präsentation über ihr Plakat von Sternentstehungsgebieten. Dabei erwähnte ihre Doktorandin immer wieder, dass Nele damals erst 14 war.
Im Rahmen des Forder-Förder-Projektes der Ursula-Schule hielt sie anschließend im Juni diesen Jahres freiwillig für Eltern und Schüler der St. Ursula-Realschule eine Präsentation über schwarze Löcher mit dem Unterthema Hawking-Strahlung.
Nele de Cillia, Studentin mit 14 Jahren
Seit letztem Jahr studiert sie Physik an der Ruhr Uni Bochum. Auch hierfür ist sie eigentlich zu jung, denn fürs Studium wird ein Alter von 16 Jahren vorausgesetzt. Aber wer nur „Einser“ auf dem Zeugnis und zusätzlich eine Empfehlung der Professoren sowie des Leiters der Sternwarte vorzeigen kann, der wird auch gerne ausnahmsweise schon mit 14 genommen.
Mittwochs nach den ersten beiden Schulstunden ist die Frühstudentin der Oberstufe, wie der korrekte Fachbegriff lautet, von ihrem Unterricht freigestellt und sitzt eine Stunde später mit weitaus älteren Kommilitonen im Hörsaal. Den Wissensstoff der übrigen Tage muss Nele sich selbst beibringen, denn die Scheine, die Nele erhält, sind anerkannt für das Regelstudium.
Ihr Abi ist schon greifbar nah, dann kann Nele jeden Tag zu ihrer Uni, ihren Master erlangen und anschließend endlich ihren Traum wahr werden lassen: Astrophysik zu studieren. Und dies ausschließlich auf Englisch. Das wird ihr aber nicht schwerfallen, liest sie doch seit längerer Zeit ihre Bücher bereits in englischer Sprache.