Wolf – Gutachten DDBW stellt klar: Abschuss nur als „Ultima Ratio“

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Wölfe im Schermbecker Wolfsgebiet: Land NRW ist in seinen Handlungsoptionen an geltendes Recht gebunden

Ein Abschussdarf nur im Ausnahmefall als „Ultima Ratio“ nach den strengen Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) erfolgen

Seit gestern liegt das vollständige Gutachten der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes (DDBW) zum Thema Wolf im Schermbecker Wolfsgebiet vor.

In ihrer Stellungnahme verweisen Dr. Heinrich Bottermann, Staatssekretär LANUV und Dr. Thomas Delschen, Präsident LANUV, auf die Veröffentlichung eines privaten Videos. Dieses zeigt die Jagd zweier Wölfe auf einen Rothirsch im Wolfsgebiet Schermbeck (Kreis Wesel), östlich der Ortslage Hünxe. Zu diesem Video habe es zahlreiche Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern sowie örtlichen Interessengruppen gegeben.

Auf die vorgetragenen Sorgen, Ängste und Befürchtungen gehen Delschen und Bottermann in ihrer Stellungnahme ein.

Schutz der Bevölkerung hat oberste Priorität

Ausdrücklich wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Schutz der Bevölkerung für LANUV oberste Priorität habe.

„Sofern der Schutz und die Unversehrtheit des menschlichen Lebens nicht gefährdet sind, müssen beim Umgang mit der Tierart Wolf allerdings weitere Rechtsnormen beachtet werden“.

Das bedeute: Wölfe sind durch europäisches und nationales Naturschutzrecht streng geschützt, konkret durch die „Berner Konvention“, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU (FFH-Richtlinie) und das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).

Im Laufe der vergangenen beiden Jahrzehnte sind Wölfe aus Regionen im östlichen Europa auf deutsches Staatsgebiet zurückgekehrt, wo sie seit etwa 200 Jahren ausgerottet waren.

An dieser Stelle solle festhalten werden, dass der Begriff „Wiederansiedlung“ in diesem Zusammenhang nicht angebracht sei, weil dieser Begriff menschliches Zutun mit Absicht und Vorsatz suggeriere.

Keine (Wieder-)Ansiedlung

Delschen und Botterram betonen, dass sie jeglicher Unterstellung entschieden entgegen treten wo behauptet werde, dass der Wolf im Rahmen einer „(Wieder-)Ansiedlung“ auf deutsches oder nordrhein-westfälisches Staatsgebiet zurückgekehrt sei.

Festgestellt werde aber auch, dass es seit der Rückkehr einzelner Wölfe auf deutsches Staatsgebiet keinen – die Betonung liege auf „keinen“ –nachgewiesenen Fall eines Angriffs von Einzelwölfen oder gar eines Rudels auf Menschen gegeben habe. Menschliches Leben und die körperliche Unversehrtheit seien nach Ausage des DDBW demnach nie in Gefahr gewesen.

Weiterhin werde selbstverständlich auch die Weidetierhaltung als schützenswertes öffentliches Gut angesehen. Sie diene zur Pflege und damit zum Erhalt der historisch gewachsenen Kulturlandschaften und liefere dazu einen wichtigen Beitrag.

Weidetierhaltung neu organisieren

Völlig unstrittig sei jedoch, dass Wölfe bei ihrer Jagd nach Beute keinen Unterschied zwischen einem Wildtier und einem Weidetier machen. Dies gilt natürlich auch für Schafe und Ziegen, ggf. auch für weitere Nutztiere.

Um zu verhindern, dass Wölfe sich an Weidetiere als Nahrung gewöhnen, sei es notwendig, die Weidetierhaltung neu zu organisieren. Dazu sei es erforderlich, dass die Menschen den Wolf und sein Verhalten wissenschaftlich korrekt verstehen und interpretieren.

Fakt sei auch, dass auf der Grundlage der vorhandenen Kenntnisse Weidetiere nach festgestellten Standards vor Wolfsangriffen geschützt werden müssen.

Nutztierhalter dürfen dafür nicht die alleinigen Lasten tragen, daher werden sie aus öffentlichen Mitteln unterstützt. Grundsätzlich gilt folgendes: Werden Weidetiere trotz der Anwendung empfohlener Herdenschutzmaßnahmen vom Wolf gerissen, werden die Halter entschädigt.

Nutztierriss rechtfertigt keinesfalls alleine den Abschuss eines Wolfs.

Ein Abschussdarf kann nur im Ausnahmefall als „Ultima Ratio“ nach den strengen Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) erfolgen, welches das geltendes europäisches Naturschutzrecht für Deutschland verbindlich vorschreibt.

„Vor dieser Herausforderung stehen wir, seit wieder erste Wölfe in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen wurden und in einzelnen Fällen auch heimisch geworden sind. Nachdem sich im Jahr 2018 ein erster Wolf (GW954f) im Kreis Wesel niedergelassen hat und damit „ortstreu“ geworden ist, hat die Landesregierung dort das „Wolfsgebiet Schermbeck“ als erstes nordrhein-westfälisches „Wolfsgebiet“ eingerichtet“.

Am 11. April 2020 wurde nun durch ein privates Video erstmalig die Anwesenheit zweier Wölfe in diesem Gebiet dokumentiert. In diesem Zusammenhang gebe es vonseiten der Bevölkerung immer wieder verstärkte Fragen: Die drei Kernthemen fokussieren sich laut DDBW auf:

1. Besteht durch die neue Situation eine potenzielle Gefährdung für Menschen –vor allem Kinder?

In den zurückliegenden zwanzig Jahren, seit es wieder Wölfe in Deutschland gibt, wurde kein Mensch durch einen Wolf nachweislich gefährdet. Wölfe verhalten sich grundsätzlich dem Menschen gegenüber scheu und ziehen sich bei möglichen Begegnungen von allein zurück. Bei dem in Nordrhein-Westfalen durchgeführtenVerfahren zur Beobachtung der Entwicklung einer Wolfspopulation („Monitoring“) wird sehr großer Wert auf das Erkennen von abweichen dem Verhalten der Tiere gelegt. Es ist klar ein formuliertes Ziel: Solche Individuen müssen frühzeitig erkannt und im Falle einer Alternativlosigkeit dann auch aus der Natur entnommen werden. Der Wolf ist und bleibt ein großer Beutegreifer, der von seiner körperlichen Konstitution in der Lage wäre, einen Menschen ernsthaft zu verletzen. Dies bleibt bei allen Maßnahmen des Wolfsmanagements der wichtigste Grundsatz der streng zu beachten ist

2. Wie können in dieser Situation Weidetiere besser geschützt werden und wer trägt dafür die Kosten?

Das Land NRW steht zur Weidetierhaltung und an der Seite der Weidetierhalter, insbesondere zu einer naturnahen Beweidung mit Schafen.

Es ist daher unser erklärtes Ziel, die Haltung von Weidetieren, insbesondere von Schafen auchin ausgewiesenen Wolfsgebieten zu erhalten und zu fördern. Dazu sind wirksame Herdenschutzmaßnahmen in den Wolfsterritorien unbedingt flächendeckend erforderlich.

900 Quadratkilometer

Die Fördermaßnahmen des Landes NRW haben zum Ziel, die Nutztierhalter bestmöglich zu unterstützen, um die Weidetierhaltung abzusichern. Dazu fördert NRW die Anschaffung und die Unterhaltung von Herdenschutzhunden und die Investition in wolfsabweisende Zäune. Um den realen Bedarf in jedem Fall abzudecken, umfassen die Förderszenarien über das eigentliche Territorium eines Wolfsrudels hinaus (rd. 200 Quadratkilometer) rund 900 Quadratkilometer, die bereits bei einem nachgewiesen standortreuen Wolf als „Wolfsgebiet“ ausgewiesen werden.

„Wolfsgebiete“ werden zudem von Pufferzonen von mehreren 1000 Quadratkilometern umgeben, in denen Herdenschutzzäune ebenfalls mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Wenn diese qualifiziert aufgebaut werden und rund um die Uhr ausreichend elektrifiziert betrieben werden kommt es zu einem deutlichen Rückgang der Wolfsübergriffe.
Insbesondere in der Kombination mit Herdenschutzhunden wird Wölfen folgendes vermitteln: Die Jagd auf Schafe lohnt nicht, sie ist mit Schmerzen und sogar mit Verletzungen verbunden.

Kontinuierliche Verbesserung

Im Wolfsgebiet Schermbeck schützen Schäfer größere Herden bereits seit 2019 erfolgreich mit Herdenschutzhunden. Kleinere Gruppen von Schafen werden mit immer besseren, elektrifizierten Herdenschutzzäunen gesichert.

Der Schutz der Weidetiere, insbesondere der Schafhaltung, verbessert sich vor Ort kontinuierlich. Diese Entwicklung spiegelt die kontinuierliche Verbesserung der staatlichen Förderung durch das Land NRW, auf deren Grundlage Tierhaltern in ausgewiesenen Wolfsgebieten Hilfe bei der Prävention und Entschädigung für tote oder verletzte Tiere durch einen Wolfsangriff garantiert wird.

Investitionen in Herdenschutzmaßnahmen wurden zunächst in Höhe von 80 % der getätigten Kosten gefördert, was zu dieser Zeit dem Förderdeckel geltendem EU-Rechts entsprach. Inzwischen konnte der Förderhöchstsatz auf 100% angehoben werden.

800.000 Euro aus Förderprogramm

Durch intensive Einsatz des Landes NRW bei der EU-Kommission konnte auch die bis 2020 geltende Begrenzung von 20.000 Euro pro Antrag-steller in drei Jahren in der Förderrichtlinie des Landes NRW aufgehoben wer-den. Anträge für Entschädigung und für Prävention bearbeiten die Bezirksre-gierungen nach Prüfung durch die Landwirtschaftskammer: ggf. ermitteln Kreiszüchterzentralen den Wert der Nutztiere.

Auf diesem Wege wurden im Jahr 2019 Mittel in Höhe von über 800.000 € aus dem Förderprogramm des Landes abgerufen. Damit Herdenschutzmaßnahmen fachlich korrekt durchge-führt werden können, bietet das Land NRW zudem über die Landwirtschafts-kammer NRW eine kostenfreie Herdenschutzberatungan.

3. Besteht durch die neue Situation eine potenzielle Gefährdung der Deichbewirtschaftung mit Schafen?

Eine auch für das Wolfsgebiet Schermbeck wichtige Frage gilt der Zukunft der Schafbeweidung auf den Deichen. Die Standsicherheit von Deichen wird unter anderem durch regelmäßige Pflege der Grasnarbe unterstützt. Dazu werden Deiche entweder gemäht oder beweidet. Wirtschaftliche Vorteile hat dabei die Beweidung, sie gilt daher als die beste Form der Deichpflege. Insofern werden Deiche regelmäßig durch Berufsschäfer mit ihren Herden aufgesucht, um den Bewuchs klein zu halten und die Festigkeit der Deichoberflächen zu fördern.

Aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten (Zuschnitt der beweideten Flächen, gleichzeitige touristische Nutzung auf vielen Deichabschnitten) ist es nicht überall möglich, mit den herkömmlichen Schutzmaßnahmen elektrifizierten Zäunen und Herdenschutzhunden zu arbeiten.

Keine generelle Lösung für Wölfe an Deichen

Erfahrungen in anderen Bundesländern haben gezeigt, dass es deswegen auch keine generellen Lösungen für alle Deiche gibt, sondern jeder Deichabschnitt individuell betrachtet werden muss. Derzeit liegen in Nordrhein-Westfalen keine von Schafen regelmäßig gepflegten Hochwasserdeiche innerhalb eines Wolfsterritoriums. So ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass ein Wolf aus dem Wolfsgebiet Schermbeck an Rheindeichen regelmäßig Schafe jagt.

Nichtauszuschließen ist jedoch, dass einzelne, durchziehende Wölfe auf ihren weiten Wanderungen auch auf den Deichen angetroffen werden. Ein Blick in die Verbreitungskarte der Wolfsnachweise im Wolfsportal NRW (www.wolf.nrw) zeigt, dass einzelne durchziehende Wölfe überall im Land auftauchen können.

Die hier beschriebenen Punkte werden laut Delschen und Bottermann in den deutschen Bundesländern durch sogenannte Wolfsmanagementpläne geregelt, so auch in Nordrhein-Westfalen.

An der Erstellung des bisher gültigen Wolfsmanagementplans haben sich neben den zuständigen Behörden u.a. der Landesjagdverband NRW, der Landesverband der Berufsjäger NRW, der Ökologische Jagdverband NRW, die anerkannten Naturschutzverbände, der Schafzuchtverband, der Verband der Eigenjagdbesitzer und Jagdgenossen, der Waldbauernverband NRW, der Westfälisch-Lippische sowie der Rheinische Landwirtschaftsverband und die AG Säugetierkunde beim Westfälischen Landesmuseum für Naturkunde in Münster beteiligt.

Situation nicht ausgesucht

Für das laufende Jahr 2020 gebe eine Fortschreibung, also die Überarbeitung und Aktualisierung, des Wolfmanagementplans NRW geplant –unter Beteiligung weiterer Gruppen, wie etwa des Bundesverbands der Berufsschäfer, der Vertreter der Gehegewildhalter sowie der Pferdehalter geplant.

Zu einem offenen und konstruktiven Diskurs seien alle eingeladen weiterhin konstruktiven Anregungen einzubringen und berechtigten Beschwerden offen zu legen. Diese sollen helfen, durch gemeinsame Positionierung und Aktion mit den relevanten gesellschaftlichen Interessengruppen eine Situation zu bewältigen, die „wir uns nicht ausgesucht haben und in der das Land Nordrhein-Westfalen in seinen Handlungsoptionen an geltendes Recht gebunden ist“, ergänzen der Staatssekretär Bottermann und Präsident Delschen.