40 Jahre Kreis Wesel – „Oberkante Unterlippe“

Renaturierung des Lippemündungsraumes
Wesel (pd.) Auf einer Länge von etwa 220 Kilometern schlängelt sich die Lippe von Ost nach West, von ihrer Quelle in Bad Lippspringe bis zur Mündung in Wesel, durch das Land. In einigen Abschnitten, z.B. zwischen Schermbeck und Wesel, sind wertvolle Überschwemmungsbereiche (Auen) als Naturschutzgebiete bzw. europäische Schutzgebiete gesichert worden.

Schiffe verkehren aufgrund der erheblichen Sandfracht der Lippe nicht mehr auf dem Fluss selbst, sondern auf dem 1930 fertiggestellten Wesel-Datteln-Kanal. Von gelegentlichen Hochwassersituationen abgesehen, fließt die Lippe in ihrem engen Bett weitgehend ruhig dahin.

Lippemündung Foto: Kreis Wesel
Lippemündung Foto: Kreis Wesel

Im Bereich der Lippemündung, auf den letzten rd. 2,5 Flusskilometern, hat sich in den letzten Jahren dagegen Bemerkenswertes getan: Das tief eingeschnittene Lippebett ist um rd. 250 Meter nach Süden verlegt worden. „Stromschnellen“ und eine weite, an ein Flussdelta erinnernde naturnahe Mündungsaue sind entstanden. Eine ungemein reizvolle Landschaft. Die großangelegten Maßnahmen im Lippemündungsraum sind ein besonders ehrgeiziges Vorhaben des Landes NRW und ein Leuchtturmprojekt im Kreis Wesel. Hierzu zählen auch ein von der Stadt Wesel geplantes Hafen- und Industriegebiet sowie die neue Rheinbrücke.

Die Anfänge der Planungen in der heutigen Lippeaue liegen mehr als 25 Jahre zurück. Damals bekam die in Wesel ansässige Firma Hülskens eine Genehmigung für eine erste Abgrabung im Bereich „Büdericher Insel“. Etwa 10 Jahre später erfolgte dort noch eine zweite Abgrabung. Die weiteren Entwicklungen standen im Zusammenhang mit der geplanten B 58 n, Südumgehung Wesel. Ausgangspunkt war die gewagte Idee, die Lippe südlich von Wesel zu verlegen, das alte Lippebett zuzuschütten und darüber die Trasse der B 58 n zu planen. Das Umweltministerium in Düsseldorf stimmte dieser Planung zu, allerdings unter der strikten Maßgabe, dass der neue Lippeverlauf naturnah herzustellen war.

Naturlandschaft Lippe im Kreis Wesel

Entsprechende Wasserstände mussten gewährleistet sein

Eines der wesentlichen Naturschutzziele für die neue Lippeaue war es, eine Überschwemmung wesentlicher Teilflächen an mindestens 60 Tagen im Jahr zu gewährleisten. An etwa 20 Tagen im Jahr sollte das Wasser auch an höhergelegenen Stellen „Oberkante Unterlippe“ stehen. Um entsprechende Wasserstände zu gewährleisten, musste die Aue tiefergelegt werden. Zudem war es unumgänglich, im eigentlichen Mündungsbereich eine „Sohlgleite“ herzustellen, welche den Höhenunterschied des Lippebettes zu der etwa drei Meter tiefer liegenden Rheinsohle überbrücken soll.

Eine weitere Sohlgleite wurde als „Übergangsbauwerk“ unweit der B 8 im Bereich „Lippeschlösschen“ eingerichtet. Dieses soll einerseits der Erosion in der neuen Aue entgegenwirken und andererseits ein Absinken des Wasserspiegels der Lippe oberhalb der B 8 verhindern. Beide Bauwerke sind heute als „Stromschnellen“ gut erkennbar. Die Herstellung einer naturnahen Mündungsaue war zugleich ein wichtiger Beitrag zum Hochwasserschutz (Schaffung von Retentionsraum) und zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie.

Naturlandschaft Lippe im Kreis Wesel

Harmonisches Zusammenspiel verschiedener Behörden und Institutionen

Mittlerweile ist die neue Aue beinahe vollständig fertiggestellt, die alte Lippe ist verfüllt, die B 58 n kann nun, nach Abschluss der noch laufenden Genehmigungsverfahren, gebaut werden. Die Planung und Umsetzung aller Maßnahmen erfolgte in einem harmonischen Zusammenspiel verschiedener Behörden und Institutionen. Die wesentlichen Akteure des Gemeinschaftswerkes „Lippemündungsraum“ waren das Land NRW, vertreten durch die Bezirksregierungen in Düsseldorf und Arnsberg, der Lippeverband, der Landesbetrieb Straßen NRW, die Ruhrkohle AG, die Firma Hülskens, die Stadt Wesel und der Kreis Wesel.

Die Lippe im kreis Wesel

Freilandlabor

Die neugestaltete Lippeaue gleicht die Eingriffe in den Naturhaushalt aus, die insbesondere mit der Verlegung der Lippe verbunden waren. Zugleich bietet sie eine einmalige Gelegenheit, hautnah erleben zu können, wie die Besiedlung einer neugeschaffenen Aue durch die Pflanzen- und die Tierwelt erfolgt. Bereits seit 2006 werden in diesem „Freilandlabor“ daher regelmäßig die Brutvögel erfasst; seit 2012 gehören auch die rastenden Wasservögel und die Wintergäste sowie die Gefäßpflanzen zum Untersuchungsprogramm. Ebenfalls erfasst werden die in der Lippe vorkommenden Fischarten.

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Etwa 40 Wasservogelarten halten sich außerhalb der Brutsaison in der neuen Aue auf

Bis heute wurden hier annähernd 200 Gefäßpflanzenarten festgestellt, davon 10 Arten der Roten Liste NRW. Unter diesen befinden sich seltene Spezies wie Großes und Kleines Flohkraut, Acker-Ziest und die Gelbe Wiesenraute. Zudem wurden knapp 60 Brutvogelarten gezählt, darunter die gefährdeten Arten Flussregenpfeifer, Kiebitz, Nachtigall und Schwarzkehlchen, der stark gefährdete Gartenrotschwanz sowie 15 weitere Arten, die in der Roten Liste NRW verzeichnet sind. Etwa 40 Wasservogelarten halten sich außerhalb der Brutsaison in der neuen Aue auf. Im neuen Mündungsbereich der Lippe kommen aktuell etwa 30 verschiedene Fischarten vor, darunter Brassen, Gründling, Steinbeißer, Aal, Ukelei und Dreistachliger Stichling, in wenigen Exemplaren auch der Lachs sowie die zu den Rundmäulern zählenden Arten Fluss- und Meerneunauge.

Auf die weiteren Entwicklungen der Lebewelt darf man gespannt sein

Schließlich ist ein spannendes Projekt zu erwähnen, mit dessen Hilfe die Quappe, eine früher in der Lippe vorkommende Fischart, in der Mündungsaue wieder angesiedelt werden soll. Die kürzlich eingesetzten Quappen sollen den Bestand nicht heimischer Fischarten (Grundeln) begrenzen. Beteiligt an diesem Projekt sind insbesondere der Lippeverband, die Biologische Station im Kreis Wesel, der Kreis Wesel, der Ruhrverband – dieser stellte die etwa 2 Millionen Fischlarven zur Verfügung – und die Universität Köln, welche die Wiederansiedlung der Quappe wissenschaftlich begleitet.

Ein Rad- und Fußweg, der die Rheinbrücke mit der Emmelsumer Straße verbindet, soll den Besuchern zukünftig besondere „Au(g)enblicke“ ermöglichen. Die angrenzenden Flächen sollen beweidet und deshalb zum Weg hin mit einem Zaun gesichert werden.

Der Kreis Wesel appelliert an die Bevölkerung, die junge Lippeaue bzw. das dortige Naturschutzgebiet nicht zu betreten und die Hinweis- und Verbotsschilder zu beachten. Die derart gesperrten Bereiche sind keine Hundeauslaufflächen und das Lippeufer ist kein Badestrand. Überdies darf in der gesamten neugestalteten Lippeaue nicht geangelt werden.