GOTT KOMMT DURCH DIE HINTERTÜR

Pastor Klaus Honermann (Ludgerusgemeinde): Predigt am Heiligabend
Sind Sie an diesem Weihnachtsabend (Weihnachtsmorgen) durch das große Portal und dann durch das schmiedeeiserne Tor hinten in der Kirche geschritten oder durch die Tür an der Seite? Haben Sie es wahrgenommen oder eher unbewusst hindurch gegangen, weil Sie schon so oft hindurch geschritten sind?
Wenn ich durch die Tür einer mir unbekannten Kirche gehe, dann bin ich immer gespannt, was mich erwartet.

Was erwartet uns heute, wenn wir durch die Tür dieses Weihnachtsfestes 2016 gehen?

Was erwarten Sie von diesem Weihnachtsfest?

Vielleicht in den Umbrüchen und Dunkelheiten unserer Zeit einen geschmückten, festlichen Raum, der Geborgenheit vermittelt? Vertraute, stimmungsvolle Lieder?

Ich weiß noch nicht, wie wir diesen weihnachtlichen Raum wieder verlassen, durch dessen Tür wir eben eingetreten sind.

Hoffentlich mit mehr Frieden und Offenheit im Herzen. Das wünsche ich uns.

Wir können den Frieden von Weihnachten aber nicht erfahren, indem wir das ausblenden, was in der Welt geschieht. Guntram Pauli hat das Stille-Nacht-Lied angewandelt. Für manche vielleicht erschreckend:
Stille Nacht, eisige Nacht, hilflos im Sturm, er tobt mit Macht.
Und drinnen wird noch getanzt und gelacht, die Krippe zur bloßen Kulisse gemacht.
Beim Feiern ist Elend tabu, schlaft nur in himmlischer Ruh!
Stille Nacht, einsame Nacht, in fremden Land verfolgt, verlacht;
Vom Bruder zum Gegner, zum Feind gemacht. Wer hat dieses Feuer des Hasses entfacht?
Und wir sehen tatenlos zu – schlaft nur in himmlischer Ruh!
Wer hat dieses Feuer des Hasses entfacht?
Das beschäftigt uns in diesen Tagen besonders.
Stille Nacht, heilige Nacht, der Morgen kommt, ein Tag erwacht.
Das Kind in der Krippe, es regt sich und lacht. Ein Funke, der wieder die Hoffnung entfacht: auf ein Leben ohne Tränen und Wut, auf ein Leben aus Liebe und Mut.

Ein Funke, der wieder die Hoffnung entfacht … Der Funke kommt zur Zeit nicht von der UNO, die hilflos ist gegenüber der Skrupellosigkeit von Gewaltherrschern, denen zigtausende von Zivilisten egal sind.
Schauen wir noch einmal zurück auf das schmiedeeiserne Tor hinten in der Kirche: kurz nachdem wir es aufgestellt hatten, bin ich gefragt worden, ob es sich bewegen lässt. Ich habe zunächst technisch geantwortet: dass es zu schwer sein, um diesen Mechanismus bewirken zu können.

Dann ging mir auf: es steht immer offen. Und das ist gut so. Es steht für Gott selbst, der immer offen ist für uns und unsere Geschichte und Lebensgeschichten, für unsere Ängstlichkeiten und Sehnsüchte.
Viel handwerkliches Können steckt in dem Tor, das sonst draußen steht. Handwerkliches Können und handwerkliche Geduld braucht es auch, um den Frieden von Weihnachten zu errichten. Es ist nicht mit der Botschaft der Engel getan. Der himmlische Friede muss geerdet werden.
Papst Franziskus sagte in Sarajewo, jener Stadt, die so von Kriegserfahrungen geprägt ist:
Frieden herzustellen ist eine „handwerkliche“ Tätigkeit, die Leidenschaft, Geduld, Erfahrung und Ausdauer erfordert. Selig sind die, die Frieden säen mit ihren alltäglichen Taten, mit dienst-bereitem Auftreten und Handeln und mit Gesten der Geschwisterlichkeit, des Dialogs und der Barmherzigkeit …

Ich denke da z.B. an die Notfallseelsorger, die nach dem Attentat in Berlin und in anderen Situationen den Rettungskräften und anderen Traumatisierten nahe gewesen sind, um deren Schock aufzufangen.

Ich denke da an über 1200 Menschen in Schermbeck, die ihr Blut typisieren ließen, um Kranken helfen zu können.

Ich denke voller Dankbarkeit an die Menschen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, die Zeit, Geduld, Verständnis und materielle Hilfe eingesetzt haben, damit Menschen aus Kriegs-gebieten und Notsituationen hier mehr finden als einen Stall, ein Dach über dem Kopf.
Und wenn ich das so sage, dann hat das nichts zu tun mit dem Schönreden von politischen Entscheidungen, die nicht alle klug waren, oder der Tatsache, dass es leider unter Flüchtlingen auch Gewalttäter gibt, wie in Freiburg, Bochum oder jetzt in Berlin, denen das Handwerk gelegt werden muss.

Und natürlich steht deutschen Hilfsbedürftigen die gleiche Zuwendung zu wie Asylbewerbern.
Weihnachten hat u.a. damit zu tun, dass Christen zusammen mit allen Menschen guten Willens im Namen des Jesus, der in Bethlehem geboren wurde, ihr Herz und ihren Verstand nicht verriegeln. Das verächtlich gemeinte Wort „Gutmenschentum“ ist eine Ohrfeige für den Mensch gewordenen Gott, der das Gute in uns offen legen will.
„Macht hoch die Tür‘, die Tor‘ macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“ – so haben wir manches Mal im Advent gesungen.
Es kommt der Herr der Herrlichkeit? Da würden wir eigentlich ein großes Portal mit Girlanden geschmückt erwarten – so wie wir es beim Kirchenjubiläum hatten. Wir verstehen unter einem „Herrn der Herrlichkeit“ auf keinen Fall den Sohn armer Handwerksleute. Für solche Leute gibt es ja den Lieferanteneingang, aber nicht das prächtige Doppelportal.
Und wenn ich jetzt sage: er kommt als Kind – dann nicken wir alle – auch ich selbst –, weil wir es so oft schon an Weihnachten gehört haben. Und das Provozierende von Weihnachten wird nicht mehr bemerkt.
Bei einer Formulierung habe ich neulich aufgehorcht.

Der Titel eines Buches von Klaus Hemmerle lautet: „Gott kommt durch die Hintertür.“
Gott kommt durch die Hintertür. Was hat er sich nur dabei gedacht?

Die Hintertür ist nicht der „offizielle“ Eingang. Sie ist die Tür, die in der Regel immer offen ist, wo die Familienangehörigen ein- und ausgehen. Wo man vom Garten auch mit nicht so sauberen Schuhen reingeht. Die Hintertür ist für die Menschen, die mit den Bewohnern des Hauses vertraut sind.

Gott kommt durch die Hintertür. Er ist mit uns und unserem Alltagsleben vertraut. Er ist kein seltener „Staatsbesuch“.

Gott kommt durch die Hintertür.

Manchmal kann so eine Hintertür, durch die er kommt, die Schule sein. Ein 12-jähriger Junge aus dem Ruhrgebiet, der nicht getauft ist, nimmt am Religionsunterricht teil. Dort entdeckt er den Glauben. Den Eltern und auch den Klassenkameraden sagt er – sehr zu deren Verwunderung – dass er getauft werden will. Seine Begründung: „Dadurch kann sich mein Leben entfalten.“

Dadurch, dass Gott in Jesus Mensch wird, kann sich unser Leben entfalten.
Mit der Hintertür von Weihnachten meint Klaus Hemmerle auch noch etwas Anderes.

Er schreibt: Ich wünsche uns einen Schlüssel für die Hintertür – der Herr kommt, wo und wann wir’s nicht vermuten.

Er kommt in denen, die sich nicht ans große Tor getrauen.
Es gibt leider Menschen, die oft klein gemacht wurden. Die sich nicht für wertvoll ansehen.

Die sich nichts zutrauen. Die von der großen Tür der allgemeinen Wertschätzung weggewiesen wurden.

Für sie und in ihnen kommt Jesus, den wir heute feiern, zu uns.
Der Herr kommt, wo und wann wir’s nicht vermuten.

Wenn wir in diesem Advent uns den Türen der Barmherzigkeit, der Hoffnung, des Vertrauens und der Liebe zugewandt haben, so können wir jetzt am Weihnachtsfest voller Verwunderung darauf schauen, dass Gott durch die Hintertür zu uns kommt.
GESEGNETE WEIHNACHTEN!

Klaus Honermann

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.