Gedenkstein erinnert an zehn Morde

Erinnerung an eine grauenvolle Hinrichtung

Vor 70 Jahren wurden acht Männer und zwei Frauen in einem Drevenacker Waldstück erhängt

Man merkte Horst-Günther Horstkamp die Erleichterung an. Vor 20 Jahren hatte er vergeblich versucht, ein Gedenken an den zehnfachen Mord des Jahres 1944 im Damm-Drevenacker Grenzbereich zu initiieren. Am Samstagnachmittag war er aus Dinslaken gekommen, um mit mehr als 50 weiteren Personen an der Enthüllung eines Gedenksteines teilzunehmen.

Die Anregung für einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Ermordung zweier Kriegsgefangener und acht Zwangarbeiter ging im Februar 2014 vom Drevenacker Hans-Peter Weis aus. Sein Vorschlag wurde vom Hünxer Bürgermeister Hermann Hansen aufgegriffen, der auch den von der Gemeinde Hünxe finanzierten Gedenkstein besorgte und am Samstag zusammen mit dem Drevenacker Pfarrer Helmut Joppien an das Geschehen des Jahres 1944 erinnerte, bevor der Bürgermeister und der Pfarrer mit Hans-Peter Weis die dunkle Plane von dem Stein entfernten.

„An dieser Stelle wurden am 11. September 1944 zwei junge Frauen und acht Männer fern ihrer ukrainischen und russischen Heimat als Folge der Gewaltherrschaft und Krieg hingerichtet“, steht auf einer Platte geschrieben, die an dem Stein befestigt wurde. Der zweite Satz lautet: „Aus der Erinnerung an dieses Ereignis erwächst die Verpflichtung für uns, die Rechte und Würde aller Menschen zu bewahren.“

„Was ist hier geschehen?“, wird sich mancher Wanderer fragen, wenn er an der Kreuzung Alte Landstraße/Loosenberge den Stein mit der Aufschrift entdeckt. Vielleicht wird ja eines Tages noch eine Erläuterungstafel ergänzt, auf der man dann Teile jener Ausführungen nachlesen kann, die Pfarrer Joppien auf der Basis einer 1960 erschienenen Zeitungsserie, eines Aufsatzes von Paul Wickop aus dem Rheinischen Bauernkalender des Jahres 1985 und einiger Aufzeichnungen im Kirchenarchiv Drevenack am Samstag vortrug.

Monatelang waren, so formulierte es im Jahre 1960 der Journalist Herbert Bernhard in seiner 16-teiligen Serie, bis zuletzt neun russische Männer und zwei Russenmädchen unterwegs, um die Bevölkerung des Amtsbezirkes Schermbeck und der Gemeinde Obrighoven-Lackhausen mit Einbrüchen in Atem zu halten. Im Ruhrgebiet entflohene russische Kriegsgefangene waren in einer meisterhaft angelegten und hervorragend getarnten Waldhöhle bei Drevenack untergetaucht und hatten von diesem Schlupfwinkel aus fast Nacht für Nacht Bauernhöfe überfallen, Spionagedienste geleistet und schließlich einen Jäger aus Weselerwald ermordet.

Am 6. September 1944 entdeckte die Bevölkerung bei dem Versuch, den vermissten Weselerwalder Heinrich Schüring zu finden, zufällig die Höhle mit den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern.

In Essen wurde den elf Gefangenen das Todesurteil verkündet. Auf der Fahrt mit dem Gefängnisauto nach Drevenack gelang einem Russen die Flucht. Die anderen zehn wurden am 11. September 1944 an vier Bäumen aufgehängt. Erst wurden die beiden ukrainischen Frauen Manja und Maria erhängt. Manche Drevenacker Bürger schauten sich die Morde an. Einige Kriesgefangene und Zwangsarbeiter wurden von den Nazis zwecks gezwungen, sich die Vollstreckung des Todesurteils anzuschauen. Sie sollten offensichtlich sehen, wie es ihnen bei einer ähnlichen Handlungsweise ergehen würde. „Die Leichen der Verurteilten blieben 24 Stunden an den Bäumen hängen“, heißt es in einem Dokument der Kirchengemeinde Drevenack.

70 Jahre nach dem Erhängen der zehn Menschen gehen die heute dort lebenden Menschen mit anderen Augen an das Geschehen heran. Es wird genereller betrachtet, frei von der persönlichen Betroffenheit der Menschen des Jahres 1944 und frei von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch das Nazi-Regime geschaffen wurden.“Wenn wir uns erinnern, schauen wir zurück auf ein abscheuliches Ereignis Drevenacker Geschichte“,  stellte Bürgermeister Hansen am Samstag fest. Die dunkle Farbe des Gedenksteins stehe für eine der dunkelsten Zeiten der Geschichte. Aus der Erinnerung daran, so Hansen, zögen die Menschen die verpflichtenden Lehren für ihr zukünftiges Handeln. (Die komplette Rede des Bürgermeisters finden Sie am Ende des Berichtes unterhalb der Fotos.)

Ähnlich sieht es Pfarerr Helmut Joppien: „Zukunft braucht Erinnerung. Wir brauchen unsere Vergangenheit, auch unsere schmerzliche Vergangenheit. Dafür steht der Stein, dessen Tafel heute enthüllt wird.“

Den Stein erreicht man, wenn man, von Wesel kommend, etwa einen Kilometer hinter der Drevenacker Ampel an der nächsten Kreuzung rechts abbiegt, den Wagen am Parkplatz abstellt und der asphaltierten Straße einen guten Kilometer weit folgt, bis man an einer Kreuzung den Gedenkstein erreicht. Wer von Schermbeck kommt und etwa 500 Meter hinter dem Landhaus Wortelkamp nach links zum Wanderparkplatz Loosenberge fährt und sich bei der weiteren Wanderung immer rechts hält, erreicht nach dem Passieren des Naturschutzgebietes Loosenberge ebenfalls den Stein an der Kreuzung. H.Sch.

 

Tipp: Fotos anklicken.

Hünxes Bürgermeister Hermann Hansen (r.) und der Drevenacker Pfarer Helmut Joppien (l.) berichteten über die Ereignisse des Jahres 1944.
Hünxes Bürgermeister Hermann Hansen (r.) und der Drevenacker Pfarrer Helmut Joppien (l.) berichteten über die Ereignisse des Jahres 1944.

 

27.09.2014-134

27.09.2014-139

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Rede des Hünxer Bürgermeisters Hermann Hansen zur Enthüllung des Gedenksteines

Meine Damen und Herren,

alle Kriege dieser Welt haben grausame Spuren hinterlassen. Spuren der Zerstörung, Spuren von Unrecht und der Verletzung der Menschenwürde. Spuren des Todes, ja millionenfachen Todes. Spuren der Angst.  So war es auch im 2. Weltkrieg in Europa, Nordafrika und Fernost.

Auch in Drevenack gab es diese Spuren, die heute allmählich verblasst sind. Es waren zum Einen die Spuren des NAZI-Regimes. Einem Regime der Gewaltherrschaft, in dem die Würde und die Rechte der Menschen permanent verletzt wurden, und zwar in einer brutalen Art. Zum Anderen waren es die Spuren des Krieges und dessen Folgen.  Die Zeit des NAZI-Regimes und des 2. Weltkrieges ist auch für die Gemeinde Drevenack die dunkelste Zeit ihrer Geschichte.

Meine Damen und Herren, hätte es kein Nazi-Regime gegeben, hätten wir auch keinen 2. Weltkrieg mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gehabt. Dann wären in Drevenack auch keine geflüchteten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter gewesen. Die Diebstähle, Einbrüche, die die Bevölkerung beunruhigten und in Angst und Schrecken versetzten, die Ermordung des Jagdaufsehers Heinrich Schüring und die Hinrichtung von 10 Menschen aus Russland und der Ukraine wären nicht geschehen.  Die Spirale der Gewalt wäre nicht Teil der Drevenacker Geschichte geworden. Aber wir hatten 1944 auch in Drevenack eine Zeit der Gewaltherrschaft, in der die Würde der Menschen und die Rechte der Menschen missachtet wurden.

Meine Damen und Herren, die am 11. September 1944 an dieser Stelle hingerichteten zwei jungen Frauen und acht Männer sowie der ermordete Jagdaufseher Heinrich Schüring sind alle Opfer der Gewaltherrschaft des Nazi-Regimes geworden.  Wir erinnern uns heute an die Opfer, insbesondere an die Hingerichteten, die man hier gehängt hat. Wenn wir uns erinnern, schauen wir zurück auf ein abscheuliches Ereignis Drevenacker Geschichte. Die Erinnerung verpflichtet uns aber auch, nach vorne zu schauen. Und wenn wir das tun, ziehen wir aus der Erinnerung die verpflichtende Lehre, gegen jedwede Entwicklungen hin zu Gewaltherrschaft und Krieg wachsam zu bleiben und uns ihnen zu widersetzen sowie uns für die Bewahrung der Würde und Rechte aller Menschen einzusetzen. Ja, gelebte Erinnerung an Unrecht ist stete Mahnung für Gewaltfreiheit, Menschenwürde und Menschenrechte. Wenn wir uns die derzeitigen Geschehnisse auf der Welt anschauen, ist gelebte Erinnerung im Sinne von Mahnung dringend erforderlich. Das ist auch der Sinn und Zweck der heutigen Gedenkfeier.

Meine Damen und Herren, die dunkle Farbe des Gedenksteins steht für die dunkelste Zeit unserer Geschichte. Die Erinnerungstafel ist Mahnung zur Bewahrung der Rechte und Würde aller Menschen. Möge der Gedenkstein uns stets an die dunkelste Zeit von Drevenack erinnern und zur gelebten Erinnerung im Sinne von Mahnung beitragen.

Ihnen, Herr Weis, danke ich namens der Gemeinde Hünxe für die Anregung, zur Erinnerung an die Hinrichtung am 11.09.1944 einen Gedenkstein aufzustellen.  Ich bitte Sie und Sie, Herr Pfarrer Joppien, nachdem Sie zu uns gesprochen haben, mit mir den Gedenkstein zu enthüllen.

 

Hier finden Sie einen Bericht aus der Rheinischen Post, der sich mit der so genannten „Russenhöhle“ befasst. Klicken Sie <<<hier>>>

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Heimatreporter
Unter der Artikel-Kennzeichnung "Heimatreporter" postet der Schermbeck-Dammer Helmut Scheffler seit dem Start dieser Online-Seite im Jahre 2013 Artikel über vergangene und gegenwärtige Entwicklungen der Großgemeinde Schermbeck. Seit 1977 schreibt der inzwischen pensionierte Mathematik- und Erdkundelehrer für Lokalzeitungen. 1990 wurde er freier Mitarbeiter des Lokalfunks "Radio Kreis Wesel", darüber hinaus hat er seit 1976 zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte Schermbecks in niederrheinischen und westfälischen Schriftenreihen veröffentlicht. 32 Jahre lang war er Redakteur des "Schermbecker Schaufenster". Im Jahre 2007 erhielt er für seine niederrheinischen Forschungen den "Rheinland-Taler" des Landschaftsverbandes Rheinland.